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Z u s a t z ü b e r d i e m a t e r i a l i s t i s c h e A u f f a s s u n g
d e r M a g i e
Unserer Ansicht vom Wesen der Magie steht die heute in der Religions-
geschichte herrschende, namentlich aber in der Soziologie und Völkerkunde so
gut wie allein geltende, materialistische schroff gegenüber.
/
Der materialistischen Auffassung zufolge wäre die Magie reine Einbildung
oder Betrug, sie wäre auch etwas ganz anderes als Religion, daher mit Religion
nicht wesenhaft verbunden. Nach J a m e s G e o r g e F r a z e r , der in diesem
Punkt seit Jahrzehnten in der Ethnologie, Soziologie und Religionsgeschichte als
führend gilt, soll die Magie der Religion geschichtlich vorangegangen sein — der
sogenannte Präanimismus: „Zauber ist vor Animismus“, das heißt Religion
1
. Die
Religion soll erst entstanden sein, als der Mensch einsah, daß die Magie versagt!
Der Mensch sei dann den entgegengesetzten (!) Weg gegangen, und zwar in der
Religion. Denn die Religion sei der Versuch, durch die Götter dasjenige zu er-
langen, was durch die magischen Praktiken nicht zu erlangen war. Die Grundlage
der Magie sei die falsche Anwendung des Gesetzes der Vorstellungsassoziation (!).
Da die beiden Gesetze der Assoziation seien, die Berührung und die Ähnlichkeit,
gebe es auch zwei Hauptarten von Magie, jene durch Übertragung (entsprechend
dem Assoziationsgesetz der Berührung) und jene durch Nachahmung (entspre-
chend dem Assoziationsgesetz der Ähnlichkeit).
Diese Ansicht von der Magie muß als grundfalsch bezeichnet werden, die
Einteilung haftet ganz am Äußerlichen des Zeremoniells. Sie verkennt, daß die
„Nachahmung“, die sich im Zeremoniell zeigt, auf dem E n t s p r e c h u n g s -
g r u n d s a t z beruht und auch die „Übertragung“ nur diesem dient; daß ferner
beides in Wahrheit weit mehr der Versenkung des Zauberers dient, als es eigene
Bedeutung besitzt.
S o l a n g e m a n n i c h t v e r s t e h t , d a ß d i e r i t u e l l e n H a n d -
l u n g e n , d e r „ N a c h a h m u n g “ f ü r s i c h u n d d e r „ Ü b e r -
t r a g u n g “ f ü r s i c h , ü b e r h a u p t s ä m t l i c h e m a g i s c h e R i t e n
f ü r s i c h s e l b s t n i c h t s b e d e u t e n , sondern erst der Versenkung,
des inneren Rapportes mit den immateriellen Zentren der zu bezaubernden
Wesen, bedürfen, solange spricht man wie der Blinde von der Farbe und wird
man das Verhältnis von Magie und Religion nicht verstehen. Der Regenzauberer
z. B. ahmt den Regen wohl nach, aber — indem er mit dem Regeng o t t,
einer Naturmacht, in Rapport zu gelangen sucht! Gibt es eine solche Naturmacht
oder etwas, was sie vertritt, ein immaterielles Zentrum, gar nicht, nur dann ist
jene Magie Aberglaube.
Noch mehr als die Einteilung ist die Wesenserklärung der Magie durch Frazer
verfehlt. Denn die „Gesetze“ der Ideenassoziation, die er der Einteilung zu-
grunde legt, gelten nicht einmal für die normale Psychologie
2
, geschweige denn
für so außergewöhnliche Erscheinungen, wie es die magisch-mystischen sind.
1
James George Frazer: The Golden Bough, A study in Magic and Religion,
Bd 1 und 2, London 1911, besonders Bd 1, S. 52—243, deutsch von Edmund
Weber, Auswahl in 1 Bde, Leipzig 1920.
2
Vgl. den Nachweis, daß die bloße Vorstellungsassoziation (nach Berührung
oder Ähnlichkeit) ein Grenzfall der Entartung oder Schwäche und nicht des
normalen Denkens und Seelenlebens sei, in meinem Buche: Erkenne dich selbst,
Jena 1935, S. 80 ff. [2. Aufl., Graz 1968, S. 74 ff.].
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