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Schon äußerlich zeigt sich das Falsche der ganzen Ansicht Frazers und / seiner
großen Schule daran, daß sowohl Magie wie Religion es mit übergeordneten,
unsinnlichen (also mindestens für übersinnlich gehaltenen) Mächten zu tun haben,
weshalb es begreiflich ist, beide stets eng miteinander verbunden zu sehen. Auch
herrscht selbst den göttlichen Mächten gegenüber nicht nur Unterwerfung,
sondern auch Beschwörung, Beeinflussung, so daß gerade in diesem Punkt die
Übergänge von Magie und Religion bei niederen Religionen fließend genannt
werden müssen.
Überdies steht Frazers Ansicht in der gesamten Religionsgeschichte und Völ-
kerkunde der Umstand entgegen, daß wir Magie überall und ausnahmslos mit
der Religion verbunden sehen. Selbst bei Wilhelm Schmidts urmonotheistischen
Zwergvölkern fehlt das magische Element nicht gänzlich
1
.
Nur aus jener grundverfehlten Wesensauffassung der Magie ist es endlich
verständlich, daß sie es nach Frazer mit angeblich „unpersönlichen Mächten“
zu tun haben soll („Tabu“ sei z. B. die „Ladung“ eines Gegenstandes mit unper-
sönlichem Fluidum) — als ob die Wilden einen Kursus der Physik, Kapitel
Elektrizitätslehre, gemacht hätten!
Verstehen wir dagegen, wie zuvor gezeigt, das Wesen der Magie von Sug-
gestion, Hypnose und Fernwirkung aus, also im Sinne eines inneren Rapportes
mit den betreffenden Personen oder mit immateriellen Zentren von Dingen —
dann verstehen wir vor allem: daß nicht jede Magie erfolglos sei, daß es viel-
mehr grundsätzlich magische Einwirkung auf geistige und stoffliche Wesen
geben könne!
Wie anders sollten alle Völker und Zeiten ausnahmslos an Magie geglaubt
und von ihr umfassendsten Gebrauch gemacht haben? Trotz unzähliger Miß-
bräuche und Verdunkelungen durch Betrug, Aberglaube und Unsinn mußte sie
innere und äußere Bürgschaften für einen Wahrheitskern haben.
Aus all dem erhellt wieder das G e m e i n s a m e v o n M a g i c
u n d R e l i g i o n . Auch die Religion bittet Gott im Gebet um
Hilfe, erstrebt also (allerdings nicht in ihrer rein mystischen Form)
eine praktische Einwirkung; und auch die Religion will im Gebet,
und ganz besonders im mystischen, in Rapport mit der Gottheit
treten. Und endlich: beide, Religion und Magie, haben es mit über-
sinnlichen Mächten zu tun, welche selbstverständlich von beiden
als personenhafte Lebensmächte, das heißt nach Analogie der
eigenen Person, aufgefaßt werden!
Nach allem Gesagten können wir Unterschied und Gemeinsam-
keit von Mystik und Magie wohl am einfachsten an der Gegenüber-
stellung der altindischen Gestalten des großen asketisch-philoso-
1
Wilhelm Schmidt: Der Ursprung der Gottesidee, Eine historische, kritische
und positive Studie, Bd 6, Münster i. W. 1935, S. 242 ff., 318 f. und 385 ff.