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Wenn der bedeutende deutsche Soziologe Helmut Schelsky neuer-
dings eine liberale Gewaltenteilung fordert, um der Zerstörung der
ständischen Grundordnung des Gemeinwesens durch die sogenannte
Demokratisierung entgegenzuwirken und auf diese Weise die Frei-
heit der Bürger zu retten, so unterstreicht dies, wie immer noch
zeitgemäß die Strukturanalyse der ganzheitlichen Gesellschafts-
lehre ist
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In der schon genannten Abhandlung „Ein Wort an meine Gegner
auf dem Wiener Soziologentage“ sagt Spann über das Verhältnis
von analytischem Befund und politischen Folgerungen: „Indivi-
dualismus und Universalismus haben mit politischer Einstellung
zuerst nichts zu tun, sie beruhen auf analytischen Befunden und
auf bestimmter verfahrenmäßiger Grundeinstellung. Dies möchte
ich ausdrücklich betonen und gehe auf die Vorwürfe, daß mein
Universalismus ein ,ethisch-politisches System' sei, daher gar nicht
ein. Wer meine Schriften kennt, weiß, daß ich den Universalismus
rein verfahrenmäßig und analytisch-theoretisch begründe, wie auch
den Individualismus rein analytisch bestreite. Die staats- und wirt-
schaftspolitischen Folgerungen bleiben nicht aus, sind aber von
ihren Prämissen stets streng getrennt und müssen für sich selbst
überprüft werden“.
Während dieses Soziologentages 1926 in Wien waren Sombart,
Spann und ich zu einem Abendessen beisammen, und im Gespräche
bemerkte damals Sombart: „Ich bin auch für eine ständische Ord-
nung, aber das ist kein theoretisches, sondern ein politisches An-
liegen von mir!“.
In dem ebenfalls bereits erwähnten Aufsatze „Leidlicher Austrag
unleidlicher Dinge. Eine Erwiderung auf aberwitzige Angriffe“
sagt weiters Spann sehr bezeichnend: „Meine Herren Gegner sind
überdies fehl am Orte! Da ich kein praktischer Politiker bin, dürfen
sie mir nicht auf der Ebene des politischen Kampfes begegnen!
Sie können sich mit mir nicht als einem Politiker, sondern nur als
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Helmut Schelsky: Mehr Demokratie oder mehr Freiheit? Der Grundsatzkonflikt der
Polarisierung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung
(20. 1. 1973).