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Jahre später, in der schon genannten Festschrift für Wilhelm
Schmidt (1928) führt er dazu aus: „Diese (die nachkantische, Anm.
W. Heinrich) Soziologie verlor allmählich immer mehr das klare
theoretische Bewußtsein ihrer individualistisch-naturrechtlichen
Abstammung und Grundvoraussetzung. Sie war der Meinung, sie
könne ohne Prüfung der letzten theoretischen Voraussetzungen
einfach dadurch zu Wissenschaft werden, daß sie wie die Natur-
wissenschaften ,induktiv' vorgeht, sich ,auf die Erfahrung' gründet.
Das ist aber eine große und naive Täuschung. Um das, was die Erfah-
rung bietet, zu ergreifen und zu deuten, sind überall Begriffsbestim-
mungen nötig! . . . Begriffsbestimmungen gehen aber ihrerseits
wieder überall auf die letzten grundsätzlichen Begriffe zurück.
Diese letzten grundsätzlichen Begriffe waren und blieben für die
nach-Comtische Soziologie allerdings rein individualistische . . .
Daher, um nur ein einziges Beispiel anzuführen, der Utilitarismus
die gesamte naturalistische Soziologie beherrscht“ (Bd 7, 146 f.).
Ähnlich also wie in der Wirtschaftswissenschaft auch hier die
Einstellung, daß empirischer Unterbau, daß Messung und quanti-
tative Betrachtung durchaus nicht auszuschalten seien, wohl aber
der qualitativen, wesens- bzw. leistungsmäßigen Analyse nachzu-
ordnen sind.
VI.
Kategoriale Ausformung und philosophische
Krönung des ganzheitlichen Lehrgebäudes
Dieser Abschnitt im Schaffen Spanns, der die verfahrenmäßig-
kategoriale Vollendung des ganzheitlichen Lehrgebäudes und dessen
philosophische Durchbildung bringt, wird bereits in der frühen
Wiener Zeit durch eine Anzahl von Vorlesungen und Abhandlungen
aufbereitet.
Dazu seien aus dieser Periode (unter Verweis zugleich auch auf
das Schriftenverzeichnis) genannt: „Das Verhältnis von Ganzem
und Teil in der Gesellschaftslehre. Betrachtungen zu einer gesell-
schaftswissenschaftlichen Kategorienlehre“ (1921); wie berichtet, las
Spann im Sommersemester 1922 über gesellschaftswissenschaftliche