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I d e a l — „Gemeinschaft frei wollender Menschen“ — vorgenommen
1
. Die so-
zialen Erscheinungen werden von dem Standpunkte aus geprüft, ob sie der Idee
einer Gemeinschaft frei wollender Menschen entsprechen. Stammler behauptet,
daß schon in der Formel vom sozialen Ideale die Hindeutung auf eine zweifache
Richtung der Erwägung sich fände: man könne vornehmlich vom Gesichtspunkte
der Verbundenen als E i n z e l n e r ausgehen, oder aber von dem ihrer Zu-
s a m m e n g e h ö r i g k e i t in gemeinsamen Zielen. Daraus ergebe sich, das
A c h t e n des Einzelnen in seinem besonderen Wollen und sein T e i l n e h -
m e n an der Gemeinschaft in seiner Eigenschaft als Mitglied des Ganzen (und
zwar Teilnehmen am „Günstigen“ und „weniger Guten“
2
, wovon aber im sozialen
Ideale, das ein f r e i e s Wollen ist, nicht einmal dem Keime nach etwas be-
schlossen ist!). Das ist unrichtig. Solche Elemente des K o m p r o m i s s e s sind
im sozialen Ideale grundsätzlich nicht mehr enthalten. „Zusammengehörigkeit“,
„Gemeinschaft“ hat bei innerlich freiem Wollen nur mehr die Bedeutung rein
mutualistischen Zusammen t r e f f e n s , gleicher R i c h t u n g von Willens-
akten. Das soziale Ideal dürfte konsequenterweise gerade nach Stammler nicht
als e t h i s c h e s , sondern bloß als m e c h a n i s c h e s aufgefaßt werden.
Daher ist Stammlers Ableitung nicht rein aus dem sozialen Ideale, sondern be-
reits aus einer materiellen (psychologischen, kausalen) B e s t i m m u n g d e r
G e m e i n s a m k e i t von Zwecksetzungen geschehen. Aus dem sozialen Ideale
ergibt sich vielmehr nur, daß die äußere Regelung derart wäre, daß bei freiem
(= beliebigem) Wollen eines jeglichen, dennoch völlige Gemeinsamkeit der
Zwecksetzung vorhanden bliebe. So ist es zwar im notwendigen Widerspruch mit
der Wirklichkeit, aber das d a r f es auch als formales (das heißt bloß von der
inneren Freiheit des Wollens abgeleitetes) Ideal, das nur einen letzten Richtpunkt
unserer Bestrebungen bezeichnet, sein. Demnach wären bereits kausale, materielle
Momente in dasselbe hineingetragen, wenn man schließen würde, es liege in ihm
(das ja als rein mechanische Übereinstimmung alles Wollens gedacht werden muß)
bereits der Gedanke, daß jeder Einzelne als „ein zugleich den andern unbedingt
a c h t e n d e r und von ihm ebenso g e a c h t e t e r “ Gemeinschafter darin her-
vortrete
3
. Dies wäre bereits ein Ideal von (für die e m p i r i s c h e Gesellschaft,
für das e m p i r i s c h e Zusammenwirken) b e s t e n E i g e n s c h a f t e n d e r
I n d i v i d u e n kein formales, rein s o z i a l begriffliches Ideal mehr.
In diesem Lichte erscheint dann auch das nächste — an sich sehr
folgerichtige — Ergebnis Stammlers als unhaltbar, daß es k e i n e
s e l b s t ä n d i g e
G e s e t z m ä ß i g k e i t
d e r
s o z i a l e n
W i r t s c h a f t und demgemäß dann auch keine Wechselbeziehung
zwischen Wirtschaft und Recht gebe. Eine soziale Wirtschaft sei
außerhalb bestimmter äußerer Regelung nicht vorhanden, da eben
soziale Wirtschaft nur b e s t i m m t g e r e g e l t e s Zusammen-
wirken ist. Es falle daher das Problem der Gesetzmäßigkeit des so-
1
Vgl. Rudolf Stammler: Die Lehre von dem richtigen Rechte, Berlin 1902,
S. 204 ff.
2
Rudolf Stammler: Die Lehre von dem richtigen Rechte, a. a. O., S. 206 und
211
.
5
Rudolf Stammler: Die Lehre von dem richtigen Rechte, a. a. O., S. 206.