Table of Contents Table of Contents
Previous Page  191 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 191 / 9133 Next Page
Page Background

190

soll, und das heißt, soweit Stammlers Ablehnung der Kausal-

erkenntnis für die Sozialwissenschaft auf diesen zweiten Satz gestützt

ist, ist sie gewiß unhaltbar. Denn dieser Schluß ist ungültig. Das

Soziale, als eine bestimmte Synthese kausaler Teilvorgänge gefaßt,

steht nämlich unter den je unerläßlichen Bedingungen von Mittei-

lung (die nota bene an sich keineswegs als unmittelbare, in sich

ruhende Zwecksetzung sich darstellt), Religion, Moral, individueller

Wirtschaft usw. genau so, wie unter jener von rechtlich-konventio-

neller Regelung. Von i r g e n d e i n e r dieser Bedingungen abge-

sehen, bleibt vom sozialen Leben der Menschen n i c h t s , und

zwar auch nichts für eine sozialwissenschaftliche Kausalerwägung

übrig. A l l e jene Faktoren haben demnach k o n s t i t u t i v e n

A n t e i l an den sozialen Lebensprozessen, denn es kommt ihnen

in Beziehung auf die Unmöglichkeit ihres Wegfalles (auf welche

Beziehung Stammler in diesem Zusammenhange allein seine Sonder-

stellung des Rechtes stützt

1

) grundsätzlich genau dieselbe Bedeutung

zu, wie der äußeren Normierung, innerhalb welcher das Zusammen-

leben sich bewegt.

Dieser Satz gilt auch noch in einem anderen Sinne, nämlich inso-

fern, als die Tatsachen jeden beliebigen sozialen Teilsystems wenig-

stens das mit den rechtlichen und konventionalen gemeinsam haben,

daß sie von außen an das Individuum herantretende, stets ein

grundsätzliches M o m e n t d e s Z w a n g e s

2

aufweisende Im-

p e r a t i v e darstellen

3

. Der Begriff der äußeren Regelung ist bei

1

Denn Stammlers Schluß lautet ja: sobald von äußerer Regelung abgesehen

wird, bleibt für das Verhalten von Menschen gegeneinander bloße naturwissen-

schaftliche Erwägung.

2

Unter Zwang verstehen wir hier wie Dilthey: Jemanden zwingen etwas

zu tun heißt, Motive in ihm in Bewegung setzen, welche stärker sind als die

Motive, die ihn davon abhalten würden. Vgl. Wilhelm Dilthey: Einführung in

die Geisteswissenschaft, Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesell-

schaft und Geschichte, Bd 1, Leipzig 1883, S. 84; übereinstimmend R u d o l f

v o n I h e r i n g : Der Zweck im Rechte, 2 Bde, Bd 1, Leipzig 1877, S. 239.

3

Man dürfte hier nicht einwenden, daß solche Imperative zwar in d i e s e r

Beziehung äußerliche Regelung darstellen, aber in anderer Hinsicht sich von

dieser Regelung ja doch wesentlich unterscheiden; denn im obigen wird ja bloß

ihre grundsätzliche Gleichheit mit der äußeren Norm in d i e s e r B e z i e -

h u n g zur Grundlage des Gedankenganges gemacht, was sogar übermäßig be-

scheiden ist. Hingegen dürfen wir hier darauf hinweisen, daß alles, was in der

angegebenen Beziehung äußere Regelung darstellt, der Sozialwissenschaft Stamm-

lers g r u n d s ä t z l i c h gar nicht erreichbar ist.