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vielfacher Beziehung zueinander; jede solche Beziehung ist eine ge-
genseitige Wirkung“
1
. Diese so entstehenden Verhältnisse erzeugen
eine Gruppe oder V e r b i n d u n g , welche als „einheitlich nach
innen und nach außen wirkendes Ding“ aufzufassen ist. Je nach
der Innigkeit der Verbindung sind die Formen von Gemeinschaft
und Gesellschaft im engeren Sinne zu unterscheiden: „Die Verbin-
dung wird entweder als reales und organisches Leben begriffen —
dies ist das Wesen der G e m e i n s c h a f t oder als ideelle und
mechanische Bildung — das ist das Wesen der G e s e l l s c h a f t
2
.
Gemeinschaft wird als lebendiger Organismus, Gesellschaft als ein
mechanisches Aggregat und Artefact verstanden.“
Nach de G r e e f ist die soziale Grundtatsache der K o n t r a k t
3
Diese ist als ein Verhältnis der freien Willensbestimmung der sozia-
len Elemente in ihren gegenseitigen Beziehungen offenbar eine Tat-
sache psychischer Wechselbeziehung zwischen Individuen. Demgemäß
ist ihm auch die Soziologie die Wissenschaft, welche „die Beziehun-
gen der Menschen untereinander“ erforscht
4
. Kontrakt und kon-
traktuelle Freiheit konstituiert die Gesellschaft als „organisme
contractuel“ gegenüber dem körperlichen Organismus, dem jede
Freiheit der Beziehungen der Elemente untereinander fehlt. —
Gleicherweise ist für A l f r e d F o u i l l é e , welcher der biologi-
schen Schule der Soziologie zugehört, der soziale Körper ein „kon-
traktueller Organismus“
5
.
G a b r i e l T a r d e erblickt das Wesen des Gesellschaftlichen
gleichfalls in einer bestimmten Art menschlicher Wechselbeziehung:
der Nachahmung. Diese ist ihm le phénomène social élémentaire.
Er definiert Gesellschaft als eine Gesamtheit (collection) von Men-
schen, soweit sie einander nachahmen
6
. Daher ist ihm denn auch die
Sozial- oder Kollektiv-Psychologie identisch mit der Soziologie.
1
Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft, Abhandlung des Kom-
munismus und des Sozialismus als empirischer Kulturformen, Leipzig 1887, S. 3.
2
Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft, a. a. O., S. 3.
3
Vgl. Guillaume de Greef: Introduction à la Sociologie, Bd 1, Brüssel 1886,
S. 76 ff., 140 f. und öfter; Les lois sociologiques, Paris 1893, S. 25 und öfter.
4
Guillaume de Greef: Les lois sociologiques, Paris 1893, S. 24 und öfter.
5
Alfred Fouillée: La Science sociale contemporaine, 3. Aufl., Paris 1896.
6
Gabriel Tarde: Les lois de l'imitation, 1. Aufl., Paris 1890, S. 70, 73, 75,
80 und öfter.