[108/109]
151
Wissenschaft, in den ihr nur der theoretisch wohl ausgebildete Fach-
mann (und wer war das in Deutschland in den letzten dreißig Jah-
ren?) folgen konnte. Innerhalb ihres Bereiches waren die Einwände,
die Carl Menger, Böhm-Bawerk, von Komorzinsky und andere vor-
brachten, bedeutend und trafen die Grundlagen des marxistischen
Gebäudes, die Wert- und Mehrwertlehre, mit Wucht — aber leider
konnte aus den angeführten Gründen dieser Sieg des Fachgelehr-
tentums für das / politische Bewußtsein des deutschen Volkes wenig
Nutzen stiften; um so weniger — und dies war vielleicht das größte
Unglück — als von dieser Seite her die Konzentrationslehre, der
geschichtliche Materialismus und die Staatslehre unerörtert blieben.
Zur geschichtlichen und theoretischen Schule der Volkswirtschafts-
lehre kam noch die sozialpolitische Richtung, die zwar von der
geschichtlichen Schule ausging, aber auch fast alle anderen Vertreter
der Volkswirtschaftslehre umfaßte. Allein gerade die Sozialpolitiker
haben sich mangels einer gediegenen theoretischen Unterlage viel-
fach nur als sehr gemäßigte, sozusagen realistisch umgebildete Mar-
xisten betrachtet, so früher Werner Sombart, so bis zuletzt Karl
Bücher, so Lujo Brentano, der sich nicht entblödet, noch im Jahre
1916 zu sagen, Kapital sei „Mehrwert heckender Wert“
1
, und da-
mit selbst unter die Räder des Marxismus kommt; oder aber, wenn
nicht so weitgehend, so haben die Sozialpolitiker doch in den Mar-
xisten vornehmlich praktische Bundesgenossen gesehen. Ich selbst
habe als junger Student mit Gier daraufhin alle Lehrbücher (Philip-
povich, Schäffle, Adolf Wagner usw.) durchstudiert und kam zu der
Überzeugung, daß alle ihre Verfasser als Sozialpolitiker doch nur
versteckte und sehr gemäßigte Marxisten seien. Auf solche Weise
war es möglich, daß unsere volkswirtschaftlichen Schriftsteller zwar
(mit Ausnahme des Konzentrationsgesetzes) fast jedes e i n z e l n e
Lehrstück Marxens ablehnten, die Wertlehre, die Mehrwertlehre,
das Verelendungsgesetz usw., das Ganze aber als ein „wissenschaft-
liches“ System anerkannten, ja Marx als Entdecker und Genie gelten
ließen und lobpriesen! Ich selbst bin ursprünglich mit ähnlicher Ein-
stellung an den Marxismus herangegangen. Je mehr ich mich mit ihm
beschäftigte, um so mehr fand ich, daß es sich bei ihm weder um ein
ursprüngliches, noch geniales, sondern um ein durchaus politisches
1
Vgl.: Die Anfänge des modernen Kapitalismus, München 1916, S. 13.