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den Wertsysteme und Wert-Rangordnungen unterdrückt werden.
Die individualistisch-liberaldemokratische Lebensordnung und Wert-
Rangordnung herrscht heute und unterdrückt die ihr feindlichen
konservativen, christlichen, völkischen, marxistischen und anderen
Wertschichtungen ganz oder teilweise; die mittelalterliche, christliche
Wertschichtung unterdrückte die ihr feindlichen, unchristlichen, frei-
denkerischen Schichtungen (Ketzergerichte, Hexenprozesse). Die
sittlich geordnete Gesellschaft unterdrückt die sittlichkeits-widrigen,
verbrecherischen Elemente. So b e r u h t j e d e g e s c h i c h t -
l i c h e u n d l e b e n d i g e G e s e l l s c h a f t a u f d e r B ä n -
d i g u n g d e r i h r f e i n d l i c h e n W e r t s y s t e m e und ins-
besondere auch auf der Bändigung einer sittlich-minderwertigen, ver-
brecherischen Welt. (Das „unterirdische Wien“, der „Bauch von
Paris“, die ständige Bevölkerung der Zuchthäuser, Gefängnisse, Ar-
menhäuser, Kanäle!) In Zeiten des Überganges, der Revolution, der
Herrschaftslosigkeit tauchen dann diese gebändigten, lange unsicht-
bar und fast unbekannt gewesenen Schichten der Unterwelt plötzlich
auf und möchten nun ihrerseits eine solche Wertschichtung der Ge-
sellschaft vornehmen, welche die Tätigen, Ehrlichen, Reichen, aber
auch alle anderen Arbeitsamen unterdrücken und zu Ausbeutungs-
objekten machen würde. (Beispiele hierfür die vielen bolschewiken-
artigen Auf- / stände und Güterverteilungen in der griechischen
Verfallzeit
1
, die Schreckensherrschaft von Verbrechern in so vielen
Revolutionen.)
Es ergibt sich, daß ohne eine auf Macht gestützte Herrschergewalt
keine Gesellschaft möglich ist, daß aber diese Herrschaft stets auf
bestimmte vorherrschende Wertungsweisen, auf geistige Rangord-
nungen, sich gründen muß.
1
Vgl. Robert von Pöhlmann: Geschichte der sozialen Frage und des Sozia-
lismus in der antiken Welt, Bd 1, 2. Aufl., München 1912, S. 313 ff. und 416 ff.