[164]
227
ausübung“ nennen möchte. Das Gute kann nicht über alles herr-
schen, was gut und schlecht ist, sondern nur über dasjenige, was ihm
im Guten eben noch nahe genug steht. Die formale Ausübung der
Herrschaft ist auf Abstufung, auf Heruntersinken angewiesen und
kann über das geistig-moralisch Fernerstehende nur mittelbar aus-
geübt werden. Das Beste hat die stärksten Beziehungen zu dem
(sittlichen) Ganzen, die stärkste magnetische Kraft in sich. Denn
H e r r s c h a f t h e i ß t z u e r s t : g e i s t i g e G ü l t i g k e i t .
Dies findet dann organisatorisch seinen Ausdruck in: M a c h t -
a u s ü b u n g i m S i n n e g e i s t i g e r G ü l t i g k e i t . Andere
Machtausübung aber, ohne die Grundlage geistiger Gültigkeit, ist
Mißbrauch der Machtausübung, ist Knechtung und nicht von wah-
rer Dauer.
Für das Herrschen im Sinne geistiger Gültigkeit gilt daher fol-
gende Kette:
Das Beste soll herrschen über das Gute; das Gute soll (indem es
die Herrschaft des Besten in seiner Weise weitergibt) herrschen über
das weniger Gute; das weniger Gute soll (indem es die empfangene
Herrschaft wieder in seiner Weise weitergibt) herrschen über das
Beste unter dem Schlechten, das Beste unter dem Schlechten soll
herrschen über das Schlechte usw. Das Schlechteste hat die geringste
Tauglichkeit zum Aufbau des sittlichen Ganzen; insofern es diese
überhaupt hat, ist es doch noch ein wenig gut. Dieses bißchen Güte
macht es zum Glied. Die H e r r s c h a f t k a n n i h r e r N a -
t u r n a c h n u r s t u f e n w e i s e v o n o b e n n a c h u n t e n
g e h e n , und zwar unmittelbar hinab stets nur bis zum jeweils
noch verwandten Kreise, niemals aber unmittelbar vom obersten
zum untersten Kreise .— Alle vorbildlichen, wohlgestalteten Herr-
schaftsgebilde (Organisationen) zeigen deutlich dieses Bild der Herr-
schaftsausübung. Wer in der alten Armee gedient hat, weiß genau,
wie die Ausübung der Befehlsgewalt tatsächlich vor sich ging und
wie dieser Weg zugleich sich immer als der beste, ja einzig mögliche
herausstellte. Wenn der General sieht, daß die Soldaten etwas schlecht
machen, geht er nicht hin und sagt es ihnen selbst (auch wenn dies
technisch möglich wäre), sondern er lädt die Obersten vor und gibt
diesen seine Befehle; auch diese sagen es nicht ihren Soldaten, son-
dern sie laden die Abteilungsführer vor und geben den Befehl in
ihrer Weise weiter, diese geben ihn abermals weiter, und schließlich