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landet das Ganze beim Feldwebel oder Gefreiten, jedoch so, daß ein
Teil der Befehle des Generals hängen blieb bei den Obersten, ein Teil
bei den anderen Führern und Unterführern und die ausübenden
Krieger vielleicht nur den kleinsten Teil davon erfahren: Jeder übt
und empfängt jene Herrschaft, die seiner Sache und Stellung und
Fähigkeit angemessen ist! In solcher Mittelbarkeit, durch die jeweils
benachbarte Stufe hindurch, liegt das Wesen wahrer Herrschafts- /
übung als einer geistigen, liegt das Geheimnis jeder großen, erfolg-
reichen Organisation. Außer dem Heer bildet ein Beispiel die rö-
mische Kirche. Aber sogar jede politische Partei mit ihren Führern
„hinter den Kulissen“ kann das stufenweise Heruntersickern der
Herrschaft nicht entbehren.
Es seien noch weitere Beispiele erlaubt: Faust erträgt das Gesicht des Geistes
der Erde, den er zu sich gerufen, nicht so unvermittelt, wie es sich zeigt. Ver-
mittelt erträgt jeder Mensch jeden Geist. — Der große Herrscher, der sich unter
das Volk mischt, z. B. Kaiser Josef IL, der v e r k l e i d e t durch die Straßen
Wiens geht, (Harun al Raschid, der sich sogar als Bettler gibt), muß sich in einen
niederen Beamten, in einen gewöhnlichen Bürger verwandeln, um die unmittel-
bare Fühlung mit den unteren Schichten zu erlangen. Ein Herrscher, der sich so
s e l b s t vermittelt, muß gleichsam der größte Schauspieler sein. Wenn er aber
aus der Rolle fällt und sich den unteren Stufen unvermittelt zeigt, so schadet
er mehr, als er nützt, er schlüge dann einen Ton an, der unverständlich, der
überwältigend wäre, der taub machen könnte, er zeigte dann einen Anblick,
der blind machte.
Eine weitere Eigenschaft der „Herrschaft des Besten“ ist, daß sie
in einem gewissen Abstand von der Spitze notwendig in einem im-
mer wachsenden Maße a u t o r i t a t i v sein muß. Man kann so-
ziologisch sagen: Je mehr eine Gesellschaft auf autoritativer Herr-
schaft aufgebaut ist, um so mittelbarer wird die Herrschaft ausgeübt.
Ein Beispiel: Der religiös Schöpferische kann als schöpferisch er-
kannt und darum e i n s i c h t i g begriffen und verehrt werden —
das heißt nicht mehr als Autorität, sondern schon als Lehrer — nur
von dem, der nicht allzu weit unter der Schöpferkraft steht. Der
Forscher kann einsichtig als bedeutend und bahnbrechend, das heißt
als Meister, nur verehrt und geachtet werden von dem, der seinen
Gedankengängen selbständig folgen kann, von anderen nicht. Wie
kann aber dennoch, sagen wir, um noch ein anderes Beispiel zu neh-
men, Goethe oder Novalis für den Durchschnitts-Gebildeten oder
für den Arbeiterbildungsverein Autorität werden? Dadurch, daß
Goethe ein Meister, das heißt begriffene Autorität, wird für andere