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große Dichter, wie die Romantiker, und für große schöpferische Kri-

tiker, wie die Brüder Schlegel. Indem diese dann Meister (begriffene

Autorität) werden für niedere echte Kunstverständige; diese Kunst-

verständigen wieder für solche, die weniger Vermögen, aber noch

immer Eigenes für die Kunst übrig haben; diese wieder an noch we-

niger Begabte und Ausgebildete das Erhaltene weitergeben, pflanzt

sich die Erkenntnis Goethes bis herab zu jenen fort, die nur noch

einen Schimmer der Wahrheit erlangen können. Dieser Schimmer ist

ihnen, indem er sich von der reichen Stufenleiter der höheren Ver-

mittler herleitet, auch mit dem nötigen äußeren Ansehen (Autori-

tät) verstärkt, dieser Schimmer gibt ihnen durch seine autoritative

Herkunft und Einkleidung unendlich mehr, als er ihnen in seinem

innerlich verständlichen Gehalte selbst darstellt: die unbedingte Ver-

ehrung eines großen Geistes, die Hingabe, ist eines der größten Ge-

schenke, die der Mensch erhalten kann. Nur d u r c h V e r e h -

r u n g u n d H i n g a b e k a n n d e r n i e d e r e M e n s c h a n

d e m H ö h e r e n i n s e i n e r W e i s e A n t e i l n e h m e n ,

nur so das Untere an das Obere geknüpft werden.

Diese vermittelte Anteilnahme an Höherem ist es vornehmlich,

die das Wesen der T r e u e bestimmt. „Die Treue“, sagt Goethe,

„ist ein Bestreben einer edlen Seele, einem Größeren gleich zu wer-

den. Durch fortdauernde / Treue und Anhänglichkeit wird der Die-

ner seinem Herrn gleich, der ihn sonst nur als einen bezahlten Skla-

ven anzusehen berechtigt ist“

1

.

Es gibt aber Geistesinhalte und Befehle, die in der Mitte der Ge-

sellschaft stecken bleiben; dann bilden sich Risse, z. B. der heutige

Gegensatz zwischen Gebildeten und Ungebildeten, zwischen Weis-

heit und Schulbildung.

Die Folgerung aus dem Gesetze der Mittelbarkeit der Herrschafts-

ausübung, dem Gesetze, das angibt, wie das Beste herrsche, führt

unmittelbar auf die Frage der Staatsform. Als die beste Staatsform

ergibt sich daraus jene, die eine rangstufige (hierarchische) Gliede-

rung der Gemeinschaften vorsieht, das heißt aber, wenn wir das

Wort „ständisch“ im weitesten Sinne des Wortes verstehen: die stän-

dische Gesellschaftsorganisation. Ist Herrschaft höherer geistiger

1

Johann Wolfgang v. Goethe: Wilhelm Meister, 4. Buch, 2. Kapitel. (Goethes

Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin von Sachsen, Weimar 1887—1919.)