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Beim höchsten schöpferisch-geistigen oder L e h r s t a n d tritt das Mittel in
den Hintergrund, die Einteilung kann daher hier nur nach der Art der geistigen
Inhalte (Dichter, Künstler, Forscher usw.) erfolgen.
Hinsichtlich des Verhältnisses unserer Ständeeinteilung zu den
praktischen Gestaltungen der Gegenwart ist die Erkenntnis wichtig,
daß die oben entwickelten Stände und ihre Elemente überall in der
Geschichte den inneren Kern der gesellschaftlichen Schichtenbildung
ausmachen. Wohl wird weder die heutige noch eine frühere ge-
schichtliche Gesellschaft sie vollkommen ausbilden; nie aber auch
wird irgendeine gesellschaftliche Wirklichkeit verleugnen können,
daß ihre Stände oder ständeähnlichen Gruppenbildungen die oben
geschilderten Grundlagen haben. Um die Erkenntnis dieses inneren
Gerippes jeder Gesellschaft allein konnte es sich im Vorstehenden
handeln.
Z u s a t z ü b e r d a s V e r h ä l t n i s v o n K l a s s e u n d S t a n d
Da wir oben
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das Wesen des Standes ausführlich dargestellt haben, genügt
hier die bloße Feststellung, daß „Stand“ der universalistische, „Klasse“ der in-
dividualistische Begriff ist. Der Individualismus, der die Gesellschaft atomisiert,
die Einzelnen als selbständige Atome denkt, gruppiert diese Einzelnen und kann
dies nur nach äußerlichen Merkmalen tun. Der Marxismus war es, der hier den
schroffsten Individualismus betätigte und die wirtschaftliche Gleichheit der Ein-
zelnen als Summierungsgrund erklärte, daher ihm auch die wirtschaftlichen
„Klassen“ die primären sind und der wirtschaftliche „Klassenkampf“ daraus ab-
geleitet wird. Dem Universalismus ist die Gliederung der geistigen Gemeinschaf-
ten das Primäre, die handelnden Gemeinschaften sind ihm das Dienende: Die
geistigen Gemeinschaften in ihrem Organcharakter sind dem Universalismus
Vor-Stand, die handelnden in ihrem Organcharakter Voll-Stand. „ K l a s s e “
i s t e i n e S u m m e g l e i c h e r E i n z e l n e r , e i n e i s o l i e r t e G r u p p e
f ü r s i c h g e s e h e n — der individualistische Begriff; „ S t a n d “ i s t e i n e
h a n d e l n d e U n t e r g a n z h e i t d e s G e s a m t g a n z e n d e r G e s e l l -
s c h a f t — der universalistische Begriff. Da universalistisch gesehen, das Han-
deln nur dienend, nur als Ausdruck geistiger Ganzheit denkbar ist, kann ein
Handeln für sich, besonders das wirtschaftliche Handeln, niemals selbst „Klassen“
bilden.
Z u s a t z ü b e r d i e g e i s t i g e V e r f a s s u n g d e r h e u t i g e n G e -
s e l l s c h a f t s s c h i c h t e n i m S i n n e o b i g e r S t ä n d e e i n t e i l u n g
Die geistige Verfassung der heutigen „Klassen“ oder Stände zu
erörtern, gehört wohl zu dem traurigsten Geschäft des Gesellschafts-
forschers.
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Siehe oben S. 219 ff.