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dualistischen Staate überall Willkür, atomistisches Treiben herrscht,
herrscht hier überall Angleichung, Gegengewicht, Gegenseitigkeit.
Ganzes stößt auf Ganzes, nicht viele Einzelne auf viele Einzelne,
Fülle auf Fülle, nicht Armut auf Armut. Die ständische Gesellschaft
ist eben aus kleinen Ganzheiten aufgebaut, muß daher immer in
sich selbst einen Ausgleich, eine Gegenseitigkeit suchen. Die indivi-
dualistisch gebaute Lebensordnung dagegen hat diese Nötigung zu
innerem Ausgleiche nicht in sich; gegenseitige Vernichtung durch
Wettbewerb, fingierte Annahme gleicher Wertigkeit zur Staatsbür-
gerschaft eröffnen die Möglichkeit zu mechanischen, geschiebeartigen
Ungleichartigkeiten und heillosem Wirrwarr. (Beispiel: Verände-
rungen im amerikanischen Staatsleben bei Wahl eines Präsidenten
der Gegenpartei, die zum Auswechseln großer Beamtenmassen führt
— Änderungen, die im Leben der Ganzheiten keine Rechtfertigung
finden, nicht einmal in den Unterschieden der Parteigedanken!)
Nur in der ständischen Ordnung herrscht Tatkraft und Innerlich-
keit zugleich, nur in ihr Treue, Kraft und Ehre. Nur sie ist durch
Überlieferung und Be- / ständigkeit auf einen Stil des Lebens ange-
legt, während in der individualistischen Gesellschaft, wo sich jeder
auf sich selbst zurückgeworfen sieht, zuerst ein Stil des Genusses
ausgebildet wird, der das alte Kapital aufzehrt (Renaissance, Barock)
bis zuletzt das Chaos hereinbricht und die Barbarei — A m e r i -
k a n i s m u s . Nur die ständische Gesellschaft ist es, wo zwar nicht
ohne Kampf und Wunden, ohne Not und Tod gelebt wird, aber
Frömmigkeit und Treue gilt und der Stern der Ehre leuchtet.
V.
Freiheit und Gleichheit im ständischen Gemeinwesen
Der Stand schließt in sich verhältnismäßige Gleichheit (wie oben
schon ausgeführt); weil er so eine Gleichheit und eine Bindung ist,
setzt er den Einzelnen auch (innerhalb dieser Grenzen) f r e i ; er
verleiht auch die Freiheiten, die in seiner Mitte und in seinem Um-
kreise dem Einzelnen anstehen. Jeder Staatsbürger genießt daher
Freiheit und Gleichheit — aber nicht dieselbe Freiheit, nicht die-
selbe Gleichheit; und nicht Freiheit schlechthin noch Gleichheit
schlechthin, sondern: (a) die aus Bindung folgende Freisetzung oder
„Freiheit“ und (b) nur die aus Gleichartigkeit der Genossen in der