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ständischen Bindung folgende Gleichstellung oder „Gleichheit“, die
wir in die Formel kleideten: Gleichheit unter Gleichen!
Demgemäß hat jedermann Rechte wie Pflichten, aber nicht die-
selben Rechte, nicht dieselben Pflichten, sondern Rechte wie Pflich-
ten nach seinem Stande; und auch in diesem wieder nach Abstufun-
gen.
Gerade hier begegnen wir wieder dem lehrreichsten Gegensatze
zum Individualismus, zum Atomismus: Nicht Freiheit, noch Gleich-
heit, die aus dem abstrakt für sich gedachten Individuum hergelei-
tet werden, und dessen Vereinsamung und Verarmung bewirken,
sondern: Jene geschiedene, abgestufte Freiheit und jene abgestufte
Gleichheit, die in der Sache selbst erfordert und daher allein die
Fülle des Lebens ist.
Auch wird von hier wieder ein Licht auf den Geist der ständi-
schen Gesellschaft geworfen. Zuerst: Höchste Lebendigkeit und
Fülle durch Bindung des Gleichen (zu einem „Stande“) und durch
beschränkte Freisetzung innerhalb dieser Bindung. Andererseits:
Rettung und Ermöglichung dieser verhältnismäßigen, abgestuften
Gleichheit durch Abschneidung von dem Ungleichen, durch Abstu-
fung der Gesellschaft nach ihrer geistigen Substanz und den daraus
folgenden Gruppierungen des Handelns. Dadurch Wohlaufgehoben-
heit, Persönlichkeit, Geistigkeit.
VI.
„Stand“ bedingt nicht Zentralisierung, sondern
Dezentralisierung. Die Beamtenverrichtung im ständischen
Staate und die heutige Krisis des Beamtenstaates
Das geschilderte Verhältnis von Gleichheit und Ungleichheit,
Freiheit und Bindung zeigt uns (was schon früher aus Grundsätzen
bewiesen wurde)
1
nunmehr auch in konkreter Weise, daß die stän-
dische Gliederung des Staates der Zentralisierung der Regierung
widerstrebt. Atomismus bedeutet notwendig Zentralisierung. Denn
ist jeder ein gleiches Atom, so muß er notwendig in einem unmit-
telbaren Verhältnis zur Gesamtregierung stehen.
„Ein Volk, eine Regierung.“ Diese notwendige Grundmaxime
1
Siehe oben S. 221 ff.