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des demokratisch-individualistischen Staates haben wir ja schon in
mehreren Zusammenhängen kennengelernt.
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Die ständische Auffassung der Gesellschaft bedeutet dagegen not-
wendig Mittelbarkeit des Verhältnisses von Einzelnem und Staat,
sie bedeutet damit Selbstbestimmung des Standes und Aufbau der
Gesamtorganisation aus diesen in sich selbst bestimmten Teil-Orga-
nisationen (nicht unmittelbar aus Individuen). Wir wiederholen:
Ständische Gliederung bedeutet Dezentralisation des gesellschaft-
lichen Aufbaues und Mittelbarkeit desselben. Im ständischen Ge-
meinwesen sind nicht die Atome (Bürger) zu dem Ganzen (Staat)
zusammengesetzt, sondern das Gesamtganze ist in Unterganzheiten
(Stände) gegliedert. In ihm sind einerseits die Teilkräfte verselb-
ständigt, nach Verwandtschaft ihrer eigenen Bestandteile in sich
ausgeglichen und in Freiheit gesetzt; andererseits ist die Ganzheit
aus Teilsystemen aufgebaut, also dezentralisiert in Erscheinung tre-
tend (nämlich zum „Stand“ gemacht).
Die Dezentralisierung sagt ferner, daß die H e r r s c h a f t i m
V e r h ä l t n i s d e r S t ä n d e n i c h t v o n u n t e n h i n a u f ,
s o n d e r n v o n o b e n h i n u n t e r w e i t e r g e g e b e n
w i r d . Der niedere Stand „delegiert“ (seinem Begriffe nach) nicht
eine Herrschergewalt nach oben, wie in der Demokratie, sondern
er e m p f ä n g t von der höheren Ganzheit jeweils sein Recht,
seinen Ort und seine Eingliederung; sein Innenleben und sein In-
nenrecht bleibt ihm frei, soweit die Belange der Gesamtheit nicht
gestört werden und gestaltet sich nach dem Grundsatz „Gleichheit
unter Gleichen“.
Wenn nun die verhältnismäßige Selbständigkeit der Stände be-
deutet, daß diese ihr verhältnismäßiges E i g e n l e b e n führen, so
heißt dies in organisatorischer Hinsicht nicht weniger als: daß alle
zentralistische Regierung, daß mit einem Worte der zentralistische
Beamtenstaat, wie wir ihn heute vor uns sehen, gegen die Natur
der Gesellschaft ist, und läßt uns die K r i s i s d e s B e a m t e n -
s t a a t e s , von der man heute mit Recht spricht, verstehen, die
in dem ungeheuren, aber für heutige Verhältnisse unvermeidlichen
Anwachsen der Beamtenschaft besteht. Der zentralistische Staat ist
entweder: (1) der Staat des aufgeklärten absoluten Fürstentums,
oder (2) der Staat der liberal-konstitutionellen und der reinen De-
mokratie, und endlich (3) der (am meisten zentralistische) Staat des