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Am meisten im bisherigen Verlaufe der Weltgeschichte haben die
französische Revolution und die ihr folgenden weiteren liberalen
Revolutionen und Reformen in Europa mit der ständischen Glie-
derung aufgeräumt. Aber mit welchem Elend der Arbeiterklasse, mit
welchen Verwüstungen alles Geistigen, aller inneren Kultur wurde
das erkauft! Dennoch, es zeigt sich, daß selbst solche barbarischeste
Anstrengungen die innere Natur von Staat und Wirtschaft nicht
ganz zu ersticken vermochten. Politisch haben die Wahlprivilegien
der besitzenden Gruppen (Zensus, Klassenwahlrecht) einen, wenn
auch herzlich schlechten, Ersatz für ständische Gliederung geschaffen.
Und wo später auch das wegfiel, mußten es die neu entstandenen
Führerklüngel oder P a r t e i e n und die Wahlcliquen gewisser
Gruppen tun, wie sich besonders an dem Beispiel Amerikas zeigt.
Noch mehr haben in demselben Maße, als die Gliederungen sich
nicht nur formell-rechtlich, sondern tatsächlich auflösten, die wirt-
schaftlichen Neubildungen (Kartelle usw.) zur Gewinnung ständi-
scher Bindungen gedrängt, wie wir später sehen werden.
Nicht nur die allgemeine Staatengeschichte aber, auch die Wirt-
schaftsgeschichte zeigt, daß (mit einziger und, wie wir eben sahen,
auch nur teilweiser Ausnahme der letzten hundert Jahre) z u
a l l e n Z e i t e n n u r s t ä n d i s c h e W i r t s c h a f t s o r d -
n u n g e n bestanden — eine Wahrheit, die unsere liberale, ato-
mistisch verblendete Geschichtsschreibung der neuen Zeit noch nicht
entdeckt hat, die aber geradezu an der Oberfläche liegt, wenn man
nur einmal die innere, zuletzt notwendig auf Gliederung, Zusam-
menfassung gestellte Natur von Wirtschaft und Gesellschaft erkannt
hat.
Weder die urkommunistischen Gesellschaftsordnungen, wie sie
Laveley-Bücher
1
, Morgan
2
, wie sie Engels und Marx, Kautsky und
Bebel angenommen haben, bestanden jemals; noch eine der kom-
munistischen Wirtschaftsverfassung selbst nur ähnliche Ordnung,
wie sie etwa in der deutschen „Markgenossenschaft“ nach der bis
vor kurzem herrschenden Lehre gegeben sein sollte (gleiche / Boden-
anteile, „Gewanne“, die angeblich periodisch neu aufgeteilt werden,
um Besitzverschiedenheiten zu verhindern), haben sich vor der kri-
1
Das Ureigentum, Leipzig 1879.
2
Die Urgesellschaft, deutsch von Eichhoff und Kautsky, Stuttgart 1891.