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Z w a n g s erscheinung zu begreifen, das heißt es stellt sich a l l e s

von außen kommende, siegende Motive in uns in Bewegung Set-

zende u n t e r s c h i e d s l o s als Änderungsbedingung schlechthin

dar. Ein plötzlicher greller Lichtreiz, der das Auge trifft und es

„zwingt“ sich abzuwenden, ein Gegner, der mit erhobener Waffe

oder (was dasselbe ist) durch befehlende Worte jemanden zum Ge-

horsam „zwingt“ — alle diese Fälle kennzeichnen sich durch eine

gleiche Art von Z w a n g s erscheinung, in dem Sinne, daß, jeman-

den zwingen etwas zu tun, heißt, Motive in ihm in Bewegung

setzen, die stärker sind als die Motive, die ihn davon abhalten

würden

1

.

Der statuierte prinzipielle Gegensatz von Beziehungen zu Be-

wußtem und Nicht-Bewußtem erscheint also, sofern er einen So-

zialbegriff nach empiristischer Auffassung begründen soll, als unzu-

treffend und unbeweisbar.

Die Bestimmung sozialen Geschehens als Wechselwirkung p s y -

c h i s c h e r Einheiten kann aber auch so aufgefaßt werden, daß

selbst bei Beziehung des Individuums zur Natur psychische Wechsel-

wirkung insofern vorliegt, als es bloß psychische Einheiten im

Sinne von Teil-Vorgängen innerhalb des Individuums sind, die hier

in Wechselbeziehung zueinander treten (Vorstellungen, Gefühle

usw.). Es ist ein Spiel der Motive schlechthin. Diese viel tiefere Auf-

fassung ist tatsächlich die S i m m e l s . So faßt er die Wirtschaft als

Wechselwirkung in der Grundform des Tauschaktes. Das heißt der

Tauschakt, diese primitive Tatsache der Wirtschaft, ist ihm ein Pro-

zeß der Wechselbeziehung zwischen psychischen Einzelkräften des

Individuums, und zwar ein [Opfer-] „Ausgleichsprozeß zwischen

zwei subjektiven Vorgängen innerhalb des Individuums“

2

.

1

Dieser Begriff von Zwang z. B. bei W i l h e l m D i l t h e y : Einführung

in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883, S. 84, sowie R u d o l f v o n

I h e r i n g : Der Zweck im Rechte, Bd 1, Leipzig 1877, S. 239.

2

Dieser Begriff des Tauschaktes ist auch für die isolierte Wirtschaft gültig

und konstitutiv. Auch der isolierte Wirt muß a b w ä g e n , ob ein bestimm-

tes Produkt einen bestimmten Arbeitsaufwand usw. rechtfertigt. Dies ist prin-

zipiell derselbe Vorgang, wie die beim zweiseitigen Tausche vor sich gehende

Wertung dessen, was man hingibt, gegen das, was man erhält. (Georg Simmel:

Philosophie des Geldes, Leipzig 1900, S. 34.) Der isolierte Wirt verhält sich

also genau so, wie der im Verkehre tauschende: „nur daß sein Kontrahent nicht

ein zweites wollendes Individuum ist, sondern die natürliche Ordnung .. . der

Dinge . . . Seine Wertrechnungen sind generell genau dieselben, wie beim (zwei-