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hypothetischen Begriff vom Sozialen, den ja jeder, für den das Problem

existiert, haben muß).

Stellt demnach S i m m e l s Gesellschaftsbegriff nicht einmal einen

bloß materiell unzulänglichen oder unwahren (wie z. B. der T a r d e s),

sondern überhaupt keinen Gesellschaftsbegriff dar, so ist es auch

unzweifelhaft, daß er die erkenntnistheoretisch-methodologischen

Bedingungen, die ein formaler Sozialbegriff zu erfüllen hätte, in keiner

Weise zu erfüllen imstande ist. Ebensowenig natürlich die eines

materiellen Gesellschaftsbegriffes. Denn was seinem Sinne nach kein

formaler Gesellschaftsbegriff, keine Charakteristik der „gesellschaftlichen

Substanz“, kein Kriterium des Gesellschaftlichen ist, kann natürlich auch

keine materielle Ableitung der gesellschaftlichen Inhalte leisten

(Beweisziel II

4

). Dies zeigt sich denn auch überall, wo Versuche hierzu

gemacht wurden. So bei S c h ä f f 1 e , dem zwar die biologischen

Analogien, nicht aber sein formaler Sozialbegriff einen wesentlichen

Dienst zum Entwurfe eines Systems der gesellschaftlichen Inhalte zu

leisten vermochten. Ja S c h ä f f l e mußte diesen Sozialbegriff — in der

Unterscheidung physischer und psychischer Elementarbestandteile der

Gesellschaft — sogar tatsächlich auf g e b e n , um für die induktive Arbeit

freie Bahn zu

die Geschehnisse des E r f i n d e n s , um gleichfalls als s o z i a l e Tatsachen begriffen zu

werden (denn das ist eine Forschung der Wirklichkeit, sozusagen der Billigkeit), als Spezialfall

der Nachahmung aufzufassen sein. Da aber Erfindung eben das gerade Gegenteil von

Nachahmung ist, ist dies natürlich unmöglich. T a r d e selbst konstatiert diesen Widerspruch

bloß, statt ihn zu beseitigen, oder die prinzipielle Sonderstellung der Nachahmung sonst zu

erklären. Er erklärt Erfindungen für glückliche Einfälle, die im Momente ihrer Entstehung

dem gesellschaftlichen Leben entrückt sind. „Pour innover, pour dé couvrir. . . l’individu doit

échapper momentanément à sa société. Il est supra- social, plutôt que social, en ayant cette

audace si rare!“

T a r d e s Denken ist bei aller Originalität, feiner Beobachtung und heuristischem Reichtume

dennoch einigermaßen phantastisch und sprunghaft, ja in methodologisch-

erkenntnistheoretischer Hinsicht undiszipliniert zu nennen. Daher ist eine streng prinzipiell

erkenntnistheoretisch-methodologische Auseinandersetzung mit ihm schwer möglich. T a r

d e ist in der Philosophie eine Art Neu- Leibnizianer. Das gesellschaftliche Leben wird ihm

nicht durch die Wirksamkeit von Naturgesetzen, sondern ganz von menschlichen Willen und

Intelligenzen geordnet. Es scheint einerseits ein Reich der Freiheit, andererseits doch der

psychologischen Kausalität, das Gegenstand der soziologischen Untersuchung ist. Manchmal

kommt sogar — imWiderspruche mit seiner sonstigen Ablehnung alles Naturgesetzlichen im

Reiche des Sozialen — die naturgesetzliche Bestimmtheit von Rasse und Milieu zur Geltung.

Besonders in seiner „logique sociale“ geht philosophisch alles drunter und drüber. Hier sucht

er an die Stelle