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oder tatsächlich) darstellt, heißt, wie wir schon sahen, nichts an-
deres, als daß es ein k a u s a l b e s t i m m t e s ist, nach kausalen
Gesichtspunkten in der wissenschaftlichen Beschreibung geordnet
werden kann. S i m m e l s Definition des Sozialen wäre dann mit
anderen Worten: S o z i a l e s G e s c h e h e n i s t k a u s a l v e r -
k n ü p f t e s p s y c h i s c h e s G e s c h e h e n . Daß nun diese
Definition
1
nicht einmal ihrer formalen Beschaffenheit nach den
Begriff des Sozialen vorstellen kann, wird hier noch klarer. Denn
der erste Teil derselben (kausale Verknüpfung) ist nichtssagend,
weil die Möglichkeit der kausalen Auffassung der zu beschreibenden
Tatbestände ohnedies Voraussetzung aller Forschung ist. Der zweite
Teil aber, die Bestimmung als p s y c h i s c h e n Charakters ist für
einen S o z i a l begriff gleichfalls nichtssagend, weil jene Bestim-
mung (gleichgültig, ob sonst brauchbar oder nicht) ihrem S i n n e
nach keine Bestimmung von Prozessen als s o z i a l e r vorstellt;
denn sie lehrt nicht einmal den spezifischen Unterschied der sozial-
wissenschaftlichen von der psychologischen Betrachtung, die ja auch
psychisches Geschehen zu ihrem Gegenstande hat. S i m m e l s
Bestimmung ist ihrem Sinne nach zuhöchst geeignet, ein Tatsachen-
gebiet, das für die (noch erst vorzunehmende) Charakterisierung
als s o z i a l in Betracht kommt, vorläufig dadurch abzugrenzen,
daß sie andere Tatsachengebiete ausschließt, die für das Soziale
gar nicht mehr in Betracht kommen können
2
(gemäß irgend einen
1
Abgesehen von allen im engeren Sinne erkenntnistheoretischen Schwierig-
keiten dieses Sozialbegriffes, wie: psychische Wechselwirkung und überhaupt psy-
chologische Kausalität, Möglichkeit oder Notwendigkeit teleologischer Betrach-
tungsart dieses rein psychischen Geschehens usw.
2
Ein wenigstens seinem formalen Sinne nach wirklicher Sozialbegriff ist z. B.
damit gegeben, daß die als N a c h a h m u n g charakterisierbaren psychischen
Wechselbeziehungsprozesse als soziale von den übrigen abgesondert werden. So-
zial ist dann alles psychische Geschehen, das sich als Nachahmung charakterisieren
läßt. Und Gesellschaft ist dann überall, wo Nachahmung gegeben ist. Dies ist
G a b r i e l T a r d e s Definition des Sozialen: „la société c’est l’imitation“, oder,
wie seine Begriffsbestimmung in anderer Formulierung lautet: la société est
„une Collection d’êtres en tant qu’ils sont en traine de s’imiter entre eux ou en
tant que, sans s’imiter actuellement, ils se ressemblent et que leurs traits com-
muns sont des copies anciennes d’un même modèle“. (Gabriel Tarde: Les lois de
l’imitation, 1. Aufl., Paris 1890, S. 73.) — Der Grundfehler dieses Gedankens
ist der, daß die Nachahmung schon deswegen nicht das konstitutive Prinzip des
Sozialen sein kann, weil sie ihrer Natur nach stets N a c h a h m u n g v o n
e t w a s , und zwar von etwas E r f u n d e n e m sein muß. Es müßten daher