246
Die Konsequenz dieser Auffassung ist nun die, daß entweder alle
äußeren Einwirkungen prinzipiell einander gleich gesetzt werden,
wobei aber dann von einer eigentlichen W e c h s e l b e z i e h u n g
z w i s c h e n I n d i v i d u e n n i c h t g e s p r o c h e n w e r d e n
k a n n , sondern nur von E i n w i r k u n g e n der „Natur“
schlechthin, als deren Spezialfälle unter anderen menschliche Indi-
viduen erscheinen. Eine unmittelbare psychische Wechselwirkung
zwischen Gruppe und Gruppe wäre dann völlig unklar. Als „empi-
rische Atome“ der Gesellschaft könnten in diesem Falle nicht „Vor-
stellungen, Individuen und Gruppen“ erscheinen, wie S i m m e l
will, sondern nur Vorstellungen, das heißt subjektive Vorgänge:
die beiden andern müßten als Spezialfälle dieser subjektiven Vor-
gänge nachgewiesen werden. Würde man diese Konsequenz ableh-
nen, so verbliebe nur dennoch jene (wie sich zeigte unhaltbare) An-
nahme prinzipieller Verschiedenheit der Beziehungen „Mensch zu
Mensch“ und „Mensch zur Natur“, um so der vermeintlichen
grundsätzlichen Verschiedenheit der in beiden Fällen zur Entwick-
lung gelangenden Erscheinungen gerecht zu werden. Die erste
obige Konsequenz (prinzipielle Gleichheit aller „Einwirkungen“)
widerspricht dieser letzteren Meinung; diese aber widerspräche
dann wieder der von S i m m e l gelegentlich der Begriffsbestim-
mung der Wirtschaft durchgeführten Auffassung vom Sozialen als
psychische Wechselwirkung innerhalb des Individuums.
Wir haben diese Eventualitäten und Konsequenzen nicht näher
zu verfolgen. Es genügt festzustellen, daß die Bestimmung des So-
zialen als Wechselbeziehung psychischer Einheiten jedenfalls eine
auch materiell unzulängliche und schwankende Bestimmung dar-
stellt. Aber noch mehr. Diese Bestimmung kann i h r e m S i n n e
n a c h keinen Sozialbegriff konstituieren, sondern vermag höch-
stens eine vorläufige Abgrenzung, eine provisorische Einschränkung
desjenigen Kreises von Erscheinungen zu leisten, der zur Charakteri-
sierung als „gesellschaftlich“ in Betracht kommt, das heißt zur vor-
läufigen Begrenzung des mittels eines bestimmten Kriteriums e r s t
seitigen) Tausche. Für das wirtschaftende Subjekt als solches ist es sicherlich
vollkommen gleichgültig, ob es in seinem Besitze befindliche Substanzen oder
Arbeitskräfte in den Boden versenkt oder einem andern Menschen hingibt...“
(Georg Simmel: Philosophie des Geldes, Leipzig 1900, S. 34; vgl. S. 32 ff.)