346
[250/251]
dere oder höhere Bildung und wieder ob für die humanistische,
technische oder kaufmännische Bildung zu bestimmen sei. Und hier-
von abgesehen, sind gerade die Lehrpläne der unteren Klassen der
Gymnasien (und auch der Realschulen) überbürdet, während die
oberen Klassen an B e g a b u n g schlechthin keine Anforderungen
mehr stellen — das Verkehrteste, das denkbar ist. Unter solcher
Bevorzugung der Frühreifen leiden aber besonders die Kinder der
armen Familien, da sie nicht so viel Anregung haben wie jene der
reichen und gebildeten Familien, und ferner die Kinder ländlicher
Verhältnisse gegenüber jenen der städtischen, da die stillere länd-
liche Umgebung den Geist langsamer erwachen läßt; ferner wohl
auch die Blonden gegenüber den Dunklen und ganz allgemein die
nordische gegenüber den anderen Rassen. „Als Knaben und noch-
mals als Männer siegen nur wenige in Olympia“ berichtet Aristo-
teles mit tiefem Sinne
1
.
Dies alles veranschlagt, muß die Hoffnung kindlicher Seelen und
pfuscherischer Reformer von heute, durch „Rückkehr zur Natur",
„gute Lehrer“, bessere Unterrichtsverfahren und ähnlichem eine
Beseitigung der grundsätzlichen Mängel unseres Erziehungswesens
herbeizuführen, als ganz irrig fallen gelassen werden. Entweder
gehen solche Ansichten auf die schon früher behandelte „Umwelt-
theorie“ zurück
2
, wonach äußere Einflüsse alles aus einem Menschen
machen können, der menschliche Geist daher grenzenlos vervoll-
kommnungsfähig sei, eine Lehre, die überhaupt nicht ernst zu neh-
men ist; oder sie glauben an eine natürliche Überfülle von Begabun-
gen im Volke, welche bewirkte, daß alle wichtigeren Stellen in Wirt-
schaft und Gesellschaft von hervorragend begabten Menschen aus-
gefüllt werden könnten. Auch das ist leider falsch. Wie für die Er-
ziehung zu wenig „gute Lehrer“, so für / alle anderen Führerstellen
zu wenig schöpferische Menschen. K e i n V o l k h a t s o v i e l e
ü b e r r a g e n d B e g a b t e , u m e i n u m f a n g r e i c h e s
E r z i e h u n g s w e s e n u n d d i e h ö h e r e n S t ä n d e a u c h
n u r a n n ä h e r n d m i t i h n e n b e s e t z e n z u k ö n n e n .
Wer in erzieherischen Dingen, ja wer überhaupt in gesellschafts-
wissenschaftlichen Dingen mitsprechen will, muß sich über die
1
Aristoteles: Politik, VIII, 4, deutsch von Eugen Rolfes, 3. Aufl., Leipzig 1922
(= Philosophische Bibliothek, Bd 7).
2
Siehe oben S. 36 f.