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nis der aktuellen Situation und ihrer geschichtlichen Entstehung,

und den Primat einer echten, seinsgegründeten sittlichen Entschei-

dung im politischen und sozialen Handeln zu betonen. Wenn das

richtig beachtet wird, wird man Spanns „Der wahre Staat“ auch

nach all den Erfahrungen, die die Geschichte uns gebracht hat, mit

vielem Nutzen lesen können, denn das Schwergewicht des Werkes

ruht weit weniger auf zeitbedingten programmatischen Konstruk-

tionen als darauf, daß es methodisch von einer grundlegenden We-

sensanalyse des sozialen Lebens ausgeht, die vor allem gegen die

individualistische Unterstellung und ihre kollektivistischen Konse-

quenzen gerichtet ist. Von da aus versucht Spann die wesensgerechte

Formung des sozialen Lebens abzuleiten.

Auch unserer Zeit, die gewiß nicht arm an Zeitanalysen und Zeit-

diagnosen ist, bietet „Der wahre Staat“ eine Fülle von schlagenden

Erkenntnissen und anregenden Gedanken. Daß Spann dabei über

die bloße Diagnose hinausgeht und die Grundlinien einer Therapie

vom Geistigen wie vom Strukturellen her zu zeichnen versucht, ist

freilich für das Schrifttum der Gegenwart ungewöhnlich. Aber diese

Grundlinien sind weder im Geistigen noch im Strukturellen will-

kürliche Konstruktionen. Sie knüpfen dort an, wo sich die Kräfte

des Lebens regen. Die revolutionären Bewegungen der Zeit nach

dem ersten Weltkrieg aber bezeichnet Spann mit Recht als „Revo-

lution ohne Programm“, also als Auflösung des Bestehenden, ohne

eine Grundlage für die Zukunft bieten zu können. Sie standen gei-

stig im Lager einer absterbenden Vergangenheit.

Es sei gestattet, im Anschluß an diese Erwägungen kurz jene

Aspekte herauszustellen, unter denen „Der wahre Staat“ gelesen

und beurteilt werden sollte.

(1)

Zunächst sollte dieses Werk Spanns immer im Zusammenhang

mit seinem Gesamtwerke gesehen werden, das manche auftauchen-

den Fragen zu klären vermöchte. Spann war ein geistig Ringender,

ein „cor inquietum“, bis in sein Alter. Trotzdem hat „Der wahre

Staat“, bis in des Autors 60. Lebensjahr, im Jahre 1938 viermal

aufgelegt, keine textlichen Änderungen erfahren. Die Atmosphäre,

in der ursprünglich die Vorlesungen gehalten worden waren, sollte

gewahrt bleiben. Die „Zusätze“ in späteren Auflagen sind von sehr

geringem Umfang. Sie richten sich in erster Linie gegen offenbar