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lichkeit an der Wirtschaft, z. B. ob führend oder geführt, und ob die füh-
rende oder geführte Teilnahme durch Lohnarbeit, Kapitalbeteiligung, Boden-
beistellung, Erfindung, Verwertung der Erfindung, Vermittlung und so fort
geschieht. Es entstehen hier abgeleitete Ganzheiten nach der Bildungsweise
(nicht nach der Höhe) der Einkommen, nämlich Lohnempfänger, Zinsempfän-
ger und so fort. — Auch die Erscheinung der sogenannten „ V e r t e i -
l u n g s s t r ö m e " , gleichfalls abgeleitete Ganzheiten, tritt nun in einen
bestimmten systematischen Zusammenhang mit dem Stufenbau der Wirt-
schaft. Und es zeigt sich, wie die sogenannte „Verteilungslehre" nicht nur
von der allgemeinen Leistungslehre und Lehre von den Teilganzen, sondern
auch vom geschichtlichen Inhalte des Stufenbaues einer Wirtschaft ausgehen
muß. Überhaupt darf die Verteilungslehre nicht, wie bisher, von der fal-
schen Annahme ausgehen, als ob fertige Güter auf den Markt kämen, die
dann hinterdrein, nämlich erst innerhalb der Preisbildung, „verteilt" wür-
den; diese angeblich nachträgliche „Verteilung" ist vielmehr schon vor dem
Fertigwerden der Güter bestimmt, nämlich durch die Gegenseitigkeit, durch
die gesamte Gliederung der Wirtschaftsmittel, und zwar nach reinen Teil-
ganzen sowohl wie nach dem Stufenbau und nach der Teilnahmeweise der
Glieder.
Als eine weitere abgeleitete Ganzheitserscheinung sei hier noch die
Zahlungs- und Handelsbilanz erwähnt. Diese ist nach individualistischer Auf-
fassung etwas durchaus Wesenloses und muß es sein — so sehr die indivi-
dualistische Theorie damit auch mit den elementaren Notwendigkeiten jeder
praktischen Wirtschafts- und Währungspolitik in Widerspruch kommt. Nach
individualistischer Auffassung ist die Zahlungs- und Handelsbilanz nichts
als die / Summe der Bilanzen der einzelnen Wirtschafter
1
. Von dieser
Auffassung aus ist es unverständlich, wie der Zahlungsbilanz irgendwelche
wirtschaftspolitische Bedeutung zukommen könne. Ob der Geschäftsfreund
des Wiener Wirtschafters in Linz oder in Zürich wohnt — das ist dann
ganz gleichgültig. Vom rein wirtschaftlichen Standpunkte aus ist es ein
durchaus willkürlicher Schnitt, der da gemacht wird: Man könnte auch die
Bilanzen aller Linzer, aller Züricher, aller australischer Geschäftsfreunde
zusammenstellen und miteinander vergleichen — daß gerade jene Wirt-
schafter, die in „Österreich" wohnen, zusammengezählt werden, ist danach
vollständig irrational. — Es ist immer dasselbe individualistische Lied: die
Wirtschaft entsteht dadurch, daß einzelne Wirtschafter ihre Handlungen
vollziehen und diese Handlungen zusammenstellen! Der ganzheitliche Stand-
punkt ist nun hier ein genau umgekehrter: Nicht die Summierung der Pri-
vatbilanzen macht die Zahlungsbilanz aus; s o n d e r n d i e Z a h l u n g s -
b i l a n z -— z. B. mittels der durch sie bewirkten Bewegung der Valuten-
kurse — ist die B e d i n g u n g , u n t e r d e r d i e P r i v a t b i l a n z e n
s t e h e n , die Bedingung, unter der sie allein diese oder jene Gestalt an-
nehmen können. Wenn infolge der passiven Zahlungsbilanz der Preis der
Schweizer Franken steigt, dann ist es für den Wiener Kaufmann plötzlich
nicht mehr gleichgültig, ob sein Geschäftsfreund in Linz oder Zürich wohnt,
und die arteigene Verbundenheit aller österreichischen Wirtschafter in
1
So grell hat es sogar Friedrich von Wieser: Grundriß der Sozialöko-
nomik, Abt. 1 (Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft), Tübingen 1914,
S. 437, formuliert, er folgt aber damit nur der allgemein herrschenden indi-
vidualistischen Auffassung.