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lich. Wer aber die Zusammenhänge der Wirtschaft in ihrer sinnvollen, ganz-
heitlichen, auf Gegenseitigkeit begründeten Natur erkennt, muß sich über
die Oberflächlichkeit der Unterstellung „Wenn x sich ändert, aber alle an-
deren Umstände gleich bleiben,..." wundern. Eine solche Unterstellung ist
ja für jede Gleichung, für die mathematische Untersuchungsform überhaupt
unentbehrlich, aber auf die wirtschaftstheoretische Untersuchung nicht an-
wendbar. In der Physik hat es immerhin einen Sinn, zu fragen: „Wenn sich
das Volumen ändert, alle anderen Umstände aber gleich bleiben,... wie
ändert sich dann Druck und Temperatur?"; in der Volkswirtschaftslehre ist
es aber absolut unstatthaft, zu fragen: „Wenn sich das Volumen ändert, alle
anderen Umstände aber gleich bleiben,... wie ändern sich dann die Preise?"
Während es in der Physik (wenigstens in bedingtem Sinne) nicht wesens-
widrig ist, zuerst das Volumen allein zu ändern, ist die Annahme, das An-
gebot allein ändere sich und alles andere bleibe zunächst unverändert,
ebenso wesenswidrig, wie etwa die Annahme des A t m e n s i m l u f t - /
l e e r e n R a u m e . Nicht die Vereinfachung an sich ist es dann, die an-
zufechten ist, sondern das Wesenswidrige solcher Vereinfachung! Denn im
luftleeren Raume kann man b e g r i f f s g e m ä ß nicht atmen. Die Frage,
wie die Körper im luftleeren Raum fallen, ist nicht wesenswidrig; die
Frage, wie sich die Preise ändern, wenn sich zuerst das Angebot allein
ändert, ist wesenswidrig.
Das „ceteris paribus" ist in der Wirtschaftstheorie grundsätzlich wesens-
widrig. Würde, so lehrte uns schon früher ein Beispiel, plötzlich doppelt so-
viel Angebot an Eisen auf dem Markte auftreten, so müßten vorher die
Bergwerke, die Hüttenwerke, die Verfrachtung, die Löhne, die Finanzie-
rungs- und Bankleistungen und vieles andere sich geändert haben — die
ganze Volkswirtschaft hat sich geändert, ehe jenes „doppelte Angebot" auf
dem Markte erscheint.
In einem bloß m a r k t t e c h n i s c h e n S i n n e allerdings, und
von der Froschperspektive des einzelnen Marktbesuchers aus gese-
hen, kann die Annahme alleiniger Veränderung des Angebotes (und
so fort) immerhin annähernd gemacht werden. Selbst da aber will
stets der S i n n , den jene annähernd als allein stattfindend ange-
nommenen Veränderungen im Wirtschaftszusammenhange haben,
zuerst beurteilt sein, ehe die Mengenwirkungen in Betracht kom-
men können. Von dem berühmten „Gesetz des Angebotes und der
Nachfrage“, von all jenen vielfältigen Kurven, „Gleichungen“,
„Formeln“, von den mathematischen „Bedingungen des wirtschaft-
lichen Gleichgewichtes“ in den Lehrbüchern bleibt dann nichts an-
deres übrig als eine m a r k t t e c h n i s c h e F a u s t r e g e l . Dar-
über hinaus bleiben von allen Formeln der mathematischen Schulen
nur Tautologien übrig
1
.
1
Vgl. mein Buch: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre, 23. Aufl.,
Leipzig 1933, S. 89 ff., 175 ff. und 186 [25. Aufl., Heidelberg 1949, S. 96 ff.,
190 ff. und 205],