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Die Begründung für diese Abgrenzung bleibt Schumpeter gänzlich
schuldig. Er zieht nicht einmal objektiv die Grenze zwischen Statik und
Dynamik, sondern sagt auf diese Frage: „Wir werden uns hüten, darauf
allgemein zu antworten … “ hier richtig vorzugehen, sei dem „Instinkt“
zu überlassen
1
!
Rein methodologisch gesehen, sind „Statik" und „Dynamik“, auch wenn
man diese Unterscheidung prinzipiell akzeptiert, einer derartig
tiefgehenden Trennung weder fähig noch bedürftig. Auch C o m t e , der
die Unterscheidung zuerst gefordert hat, hat sie nicht anders gestellt, als in
dem Sinne, daß es sich nur um zwei Kapitel ein und desselben
theoretischen Gebäudes handelt
2
. — W e i l s i m u l t a n e u n d
s u c c e d a n e B e d i n g t h e i t ü b e r h a u p t n i c h t s t r e n g
v o n e i n a n d e r g e t r e n n t w e r d e n k ö n n e n , kann ihre
Betrachtung weder ohne innere Beziehung noch überhaupt prinzipiell
voneinander verschieden sein
3
. Das ist der rein logisch-methodologische
Tatbestand. Praktisch aber steht es so, daß r e i n statisch überhaupt nur
die Untersuchung des Zustandes der Korrelation oder Entsprechung ist
(„Anatomie“, wie Comte das richtiger bestimmt hat); daß hingegen schon
die von Schumpeter für die Statik in Anspruch genommene Variation
einzelner Elemente, auch die kleine und nur kurze Perioden in sich
fassende, auf eine succedane Bedingtheit geht, eine Bewegung dar
1
Joseph Schumpeter: a. a. O., S. 184 f.
2
„Es wäre. . . verfrüht, wollte man jetzt, wo die Wissenschaft erst begründet wird, jener
methodischen Verteilung (Dynamik und Statik) irgend eine ernste Bedeutung beilegen.
Außerdem ist. . . zu befürchten, daß eine solche entschiedene Teilung der Sozialwissenschaft
jenem Hauptübel, das darin besteht, die u n e r l ä ß l i c h e
d a u e r n d e
V e r b i n d u n g d i e s e r b e i d e n H a u p t g e s i c h t s p u n k t e zu vernachlässigen
. . . Zugang verschafft. . „ D i e s e r Unterschied [von Statik und Dynamik] scheint mir von
jetzt an genügend gekennzeichnet, um mich voraussehen zu lassen, daß seine . . .
Entwicklung... d a z u f ü h r e n k a n n , die soziale Physik gewohnheitsmäßig in zwei
Hauptwissenschaften zu zerlegen, die man z. B. soziale Statik und soziale Dynamik nennen
kann, und die sich. . . ebenso unterscheiden, wie heutzutage die individuelle Anatomie von
der individuellen Physiologie.“ — A u g u s t e C o m t e : Soziologie, übersetzt von
Valentine Dorn, Bd 1, Jena 1907, S. 232 f. (im Original nicht gesperrt).
3
Vgl. auch Max W e b e r : Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und
sozialpolitischer Erkenntnis, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd 21,
Tübingen 1904, S. 76 f., wo nachgewiesen wird, wie die Entwicklung theoretischer
Behandlung fähig ist.