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Strenge gegen sich selbst, Abscheu vor Behaglichkeit führt weiter
zu dem Grundsatze der Ü b e r w i n d u n g k l e i n e r H i n d e r -
n i s s e , Schwächlichkeiten, Kränklichkeiten (Napoleon: „Der Kai-
ser kennt keine andere Krankheit als den Tod“). Das Wort eines
Berner Herzogs: „Wir geben nicht nach, solange eine Ader in uns
lebt“ enthüllt ein allgemeines Gesetz der Lebenskunst. Freilich muß
der Aufwand im Verhältnis zum Ziel stehen. Ein großer Aufwand
darf nicht für Kleines vertan werden. Sonst verwandelt sich Größe
in Eigensinn, Tatkraft in Verbohrtheit, ja ins Böse (Michael Kohl-
haas). Wie jämmerlich der Mensch ist, der kein Leiden ertragen will,
zeigt Molières Schauspiel „Der eingebildete Kranke“.
Je stärker ein Geist, um so mehr kann er durch Strenge geübt,
durch Leiden erhöht, durch Hindernisse gefestigt werden. So auch
im Denken. Der lebendige Denker kann durch Erkennen eines
Irrtums gekräftigt werden, der schwache scheitert daran. Zur Über-
windung des Irrtums muß man sich von selbst losreißen, sich selbst
Gegenstand werden, sich selbst wie von außen ansehen (großartig in
Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind“).
Ein anderer Grundsatz, welcher das Gegenständliche wie Per-
sönliche in der Erziehung beleuchtet, liegt in dem „ V o n d e r
P i c k e a u f d i e n e n “ (von der Picke auf, das heißt mit dem
Dienst des einfachen Mannes, der die Picke trägt, beginnen). Ge-
genständlich, weil es Sacherfordernis der Ganzheit ist; subjektiv,
weil jeder seine Kenntnisse gründlich gestalten und durch das Ein-
fache, auch das Handwerksmäßige, hindurch soll. Selbst wenn man
ein Recht auf höhere Tätigkeit hat, soll man dennoch von unten
hinauf fortschreiten. Der Erziehungsgrundsatz „Von der Picke auf
dienen", entspricht auch einer ganzheitlichen Kategorie: der „Stell-
vertretung“
1
, welche darin besteht, daß der Obere bei Versagen
des Niederen dessen Dienst übernehmen können muß. Sonst wird
der Minister von seinem Sekretär abhängig, der Hauptmann von
seinem Feldwebel. Alles Auszuübende von Grund auf zu erlernen,
sich nichts zu schenken, gehört zur echten Lebenskunst.
Alle bis jetzt betrachteten Grundsätze folgen aus dem ersten
„Wer hat, dem wird gegeben“. Die Sehnsucht erwecken und das Er-
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Vgl. mein Buch: Kategorienlehre (1924), 2. Aufl., Jena 1939, S. 148 und öfters,
S. 177 f. [3. Aufl., Graz 1969, S. 139 und öfters, S. 164 f.].
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