164
[113/114]
sehnte erwecken, das / waren die zwei Gebote der Lebenskraft. Aber
wie können wir das durch die Sehnsucht Erweckte weiterentwickeln?,
wie ein immer höheres Ziel erreichen? Das führt uns auf das dritte
Gebot der Lebenskunst, das den andern vorgeht. Es heißt: Fasse alle
Kräfte zusammen, sammle Dich auf Eine Aufgabe, steigere diese
Sammlung bis zur Versenkung.
S a m m l u n g u n d V e r s e n k u n g i s t d e r K ö n i g s -
w e g a l l e r L e b e n s k u n s t . Nichts Großes kann ohne Samm-
lung und Versenkung vollbracht werden. Zuerst kann jede innere
Erweckung nur stattfinden, wenn man sich ganz darauf einstellt.
Sehnsucht ist schon Beginn von Sammlung. Beharrliche Sehnsucht
führt zur Sammlung auf den ersehnten Gegenstand. In Sammlung,
in immer tieferer Versenkung findet alle Lebenskunst ihr Ziel (auch
das Gebet, von dem hier aber nicht zu sprechen ist). Die Versenkung
allein vermag den Menschen aus seiner Ohnmacht, der Zerstreuung,
hinauszuführen, indem sie ihn nämlich zu sich selbst zurückbringt
1
.
Hier liegt die Grenze dessen, was man aussprechen kann. Man
kann eigentlich nur sagen, was n i c h t sein dürfe. Wie schwierig
unverstörte Sammlung unserem unruhigen Geiste auch nur kurze
Zeit fällt, zeigt das bekannte Beispiel von der Wette des Abtes mit
dem Mönche, der diesem ein Pferd schenken wollte, wenn er ein
Vaterunser beten könne, ohne an etwas anderes zu denken. Wäh-
rend des Betens aber fragte sich der Mönch, ob er auch wohl den
Sattel dazu bekäme? Und damit hatte er die Wette verloren.
Um eine gesammelte Haltung zu gewinnen, muß man zuerst
die L e b e n s g e w o h n h e i t e n so umstellen, daß alles Zerstreu-
ende, Ablenkende (und wären es auch nützliche Dinge wie Aus-
flüge, Vorträge usw.) vermieden werde. Ist das unmöglich, wie z. B.
bei Politikern, Rechtsanwälten, hohen Beamten, die infolge unauf-
hörlicher Verhandlungen, Reden, Reisen ein gehetztes Leben füh-
ren müssen, dann sei es eiserner Grundsatz, täglich 1—2 Stunden
allein zu sein. Hierbei kann man sich sammeln, die Kräfte des
Geistes auf eine bestimmte Aufgabe lenken. Das läßt sich minde-
1
Vgl. die betreffenden Abschnitte in meinen Büchern: Der Schöpfungsgang des
Geistes, Jena 1928, S. 250 ff. [2. Aufl., Graz 1969, S. 229 ff.] und: Die Haupt-
theorien der Volkswirtschaftslehre (1911), 22. Aufl., Leipzig 1932, S. 214 ff.
[28. Aufl., Graz 1969, S. 247 ff.].