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stens erreichen durch Frühaufstehen. Dann kann der Tag mit einer
gewissen Sammlung vor der Arbeit begonnen werden.
Sehr wichtig ist sodann die Gewohnheit in geistigen Genüssen.
Oberster Grundsatz sei hier Reinlichkeit. Darum: Grundsätzlich
kein schlechtes Schauspiel ansehen, kein schlechtes Buch lesen, keine
schlechte Musik hören. (Grillparzer: „Glaubt ihr, man könne kosten
vom Gemeinen? Man muß es hassen oder ihm sich einen.“
1
) Stets soll
man nur das jeweils Beste von dem, was man noch verstehen kann,
aufnehmen. — Das gilt auch, und noch mehr, im Umgange mit Men-
schen. Hier vor allem bedarf es der Sammlung. Jede unserer geisti-
gen Regungen ist ungemein kostbar und soll daher nur in frucht-
baren Gezweiungen aufgewendet werden. Gewählten Umgang
suchen, aber nicht hochmütig werden! Um keinen Preis mit dem
geistig toten Spießbürger umgehen. „Laßt die Toten ihre Toten be-
graben.“
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/
Sogar das Bücherlesen kann die Gefahr der Ablenkung bringen.
Nicht wahllos durcheinander lesen, keine Vielleserei! Vor allem soll
man auch soweit als möglich keine Zeitung lesen. Den ungeheuren
Schaden des Zeitunglesens für die neuzeitliche Kultur kann man
gar nicht überschätzen. Die Zeitung nimmt dem heutigen Menschen
oft die meiste Kraft weg. Sie ist gleich dem „Radio“ und „Kino“ an
sich eine kulturgefährliche Einrichtung. Schon Goethe beklagt sich
über die „Fazilität der Kommunikation“. Der Sinn dieser Klage ist,
daß alles Vielerlei, alles Unverdaute gefährlich sei. Vielerlei heißt
Ablenkung, und diese ist, wie sich schon zeigte, das Gegenteil von
Sammlung.
Wie wenig Lebenskunst besteht heute auch im Betrachten von
Gebäuden, Kirchen, Sammlungen, Bildnereien! Hier gilt es ebenfalls,
gesammelt und nicht zerstreut vorzugehen. Lieber wenig anschauen,
und nur das Beste, das man noch versteht. Auch muß man das
Schauen und Anschauen sowohl rein äußerlich üben (das schönste
Vorbild getreuen, liebevollen Anschauens gibt uns wohl Adalbert
Stifter), wie auch das gesammelte Gemüt dazu mitbringen
3
. Das
zeigt sich namentlich auch in der Kunst des Reisens. Es ist verkehrt
1
Franz Grillparzer: Epigramm Pöbelliteratur [1835],
2
Matthäus, Kapitel 8, Vers 22.
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Einige Hinweise im Anhange zu meinem Brünner Vortrage: Vom Wesen des
Volkstums. Was ist deutsch? (1920), 3. Aufl., Berlin 1929, S. 48 ff. und S. 50
(= Schriften des Widerstandes, Bd 3).