168
[116/117]
Er kennt eben nur einen Punkt, von dem er sich nicht abziehen
läßt.
Wenn auch selbst Meister Eckehart Sammlung und Versenkung
nur verneinend bestimmt: nämlich als Sichleermachen von dem,
was man nicht will, so ersehen wir daraus doch das wunderbare
Zusammenfallen der höchsten / Selbstsucht und absoluten Hingabe.
Für die Versenkung wie für die Gezweiung gilt: Nur indem man
sich selbst gibt, bekommt man. Gezweiung ist nur durch Hingabe
möglich; wie denn überhaupt durch die Gezweiung die beherr-
schende Stellung der L i e b e in der Lebenskunst bezeichnet ist,
weshalb wir hier nicht weiter davon sprechen. Hingabe ist aber Leer-
machen, und das ist auch der Weg zur Sammlung.
An Hingabe ist der höhere Weg des Geistes geknüpft. Hingabe
ist so die einzige Möglichkeit der Erhebung des Geistes über sich
selbst. Angelus Silesius sagt:
E r h e b D i c h ü b e r D i c h .
Der Mensch, der seinen Geist nicht über sich erhebt,
Der ist nicht wert, daß er im Menschenstande lebt.
Ohne Hingabe keine Sammlung, ohne Sammlung keine E i n -
g e b u n g . B e i d e r A u f n a h m e der Eingebung muß der Geist
in Hingabe verharren und darf nicht in Selbstsucht (die Isolierung
ist) fallen. Sonst geschieht ihm wie Fausten, der die Erscheinung der
Helena nicht ungetrübt, als reiner Spiegel, in sich aufnimmt. Er
begehrt sie für sich, ihm gelüstet nach ihr. Darum muß die Erschei-
nung unter Blitz und Donner verschwinden
1
. Und einzig darum
weil sich die meisten Menschen zur Hingabe nicht genügend auf-
schwingen, bleiben sie ungeistig. Die Menge ist dauernder Hingabe
unfähig, daher ungeistig. Nur ein auserwählter innerer Kreis ver-
mag zur Versenkung vorzudringen. Goethe sagt: „Große Gedanken
und ein reines Herz, das ist es, worum wir Gott bitten sollen.“
2
Erst das reine Herz befähigt zur Hingabe, und nur Hingabe, Ver-
senkung erlangt große Gedanken. Versenkung und Gezweiung,
Gottesliebe und Menschenliebe zeigen sich hier in ihrer Berührung.
1
Johann Wolfgang von Goethe: Faust, 2. Teil, 1. Akt.
2
Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meister, Wanderjahre, 1. Buch,
10. Kapitel.