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daher noch keine lebendige Religiosität. Hier stoßen wir auf das

Entscheidende, das letzte Schicksal unserer Zeit. Denn die religiös-

metaphysische Haltung des Menschen ist die letzte Grundlage aller

Kultur. Nur wenn eine religiöse Neubelebung gelingt, kann ein

neuer Geist von unserer Kultur Besitz ergreifen, nur dann auch

die gesellschaftliche Zwietracht geschlichtet, die „soziale“ Frage gelöst

werden.

Ebenso in der P h i l o s o p h i e . Der Empirismus und der

Apriorismus, welch’ letzterer nur eine schwache Form des Idealis-

mus ist, müssen überwunden werden. Das System der Wissenschaften

ist so aufzubauen, daß die philosophischen Grundlagen überall be-

stimmend und die metaphysischen Hintergründe der Welt sichtbar

bleiben.

b.

Erziehung zur Wissenschaft

In der Wissenschaft künden die Krisen in der Physik, in der Bio-

logie, in der Erdgeschichte, den Geisteswissenschaften eine Wendung

zum Besseren an. Die mechanistische, atomistische, atheistische Auf-

fassung ist überall im Rückzuge, die ganzheitliche und metaphysische

im Vordringen.

Auf dem Gebiete der Wissenschaft ist die Erziehung verhältnis-

mäßig noch leicht, nach dem Worte Goethes „Zum Lichte des Ver-

standes können wir immer gelangen, aber die Fülle des Herzens

kann uns niemand geben.“ Dennoch kann die Wissenschaft in Wahr-

heit nicht, wie heute allgemein behauptet wird, von Gemüt und

Charakter getrennt werden. Eitelkeit, krankhafter Ehrgeiz sind

Hauptfeinde echter Wissenserziehung. Verstand ohne Liebe bringt

unholdische Wissenschaft hervor (Marx, mechanistische Naturauf-

fassung!). Wissenschaft ohne Tugend ist nicht möglich, Wissenschaft

ohne E i n g e b u n g , und damit ohne Verbindung mit der Kunst,

ist ebenfalls nicht möglich. Denn der Begriff kommt nicht von sich

selber her, sondern eine Eingebung ist es, die er zum Gegenstande

(Objekt) macht und dadurch v e r a r b e i t e t , wie die Geschichte

der Wissenschaft beweist. Gleichwie die Eingebung einerseits eine

metaphysische Wurzel hat, so ist sie andererseits ohne Gemüt und

Tugend nicht zu erlangen (weil ohne diese keine Sammlung). Ebenso

bedarf sie des V o r b i l d e s

1

. Deshalb kann hohe Wissenschaft

1

Siehe oben S. 160 f.