174
[121]
— ein Urgesetz aller Lebenskunst wie aller gesellschaftlichen Ein-
gliederung! Die Sinnlichkeit muß gelenkt und geläutert werden.
Auch der Asket verwirft die Sinnlichkeit keineswegs. Denn wer die
höchste Geistigkeit haben will, von dem muß diese Grundlage auf-
gespart, nicht aber verschwendet werden. — Das gilt bekanntlich
auch im rein physiologischen Sinne, wonach die Aufbauelemente
der inneren Sekretion dem Leben kostbar sind. Aber das innere
Triebfeuer muß gleichsam ins Geistige umgeartet werden.
Im übrigen ist an das zu erinnern, was früher über Einfachheit
der Lebensführung, Fruchtbarkeit des Leidens, Askese gesagt wurde.
Daß die L e i b e s e r z i e h u n g in diesem Zusammenhange der Ausglie-
derungsordnung ihre Stelle hat, versteht sich von selbst. Die gleichsam abstrake,
vom Leibe als dem Ausdrucksorgane des Geistes losgelöste Art der Leibesübun-
gen, wie sie in unserem heutigen sportlichen und turnerischen Verbandswesen zur
Erscheinung kommt, ist aber nicht das Ideal und mehr als Übergangsform zu
werten. Mit fortschreitender Verständigung der Gesellschaft werden auch die
Leibesübungen den Betätigungen, Zielen, Geistigkeiten der einzelnen Stände und
Schichten (nach Maßgabe der Ausgliederungsordnung) mehr angepaßt und meines
Ermessens überdies einfacher, natürlicher werden, sowie mehr zum A u s d r u c k
hindrängen
1
.
d.
Erziehung zu Sittlichkeit und Recht
Die Sittlichkeit erstrebt die Herstellung der Vollkommenheit in
allen Teilen der Ausgliederungsordnung. Daher beschränkt sie sich
nicht auf ein gewisses Verhalten anderen Menschen gegenüber (z. B.
„nicht lügen, nicht stehlen“), sondern es gibt überall Sittlichkeit. In
der Kunst z. B. ist die atonale Musik unsittlich, in der Wissenschaft
der Irrtum, in der Religion die Irrlehre, in der Sinnlichkeit die Ver-
letzung des Maßes. Wer von der sittlichen Linie abweicht, ist kein
echter Denker, kein echter Künstler. Das Gleiche gilt vom Staats-
mann. Jede Erneuerungsbewegung im Staate beruht offensichtlich
auf ihrem vervollkommnenden, also sittlichen Gehalte. Die höchste
Tugend wurzelt im Metaphysisch-Religiösen. — In all’ dem liegt die
hohe Bedeutung von G e s i n n u n g u n d C h a r a k t e r für
Wissenschaft, Kunst, Staat, Volkstum.
Hier am meisten zeigt sich Licht in der sonst trüben Gegenwart.
Die Richtschnur für das echte Leben ist nie verlorengegangen. In der
Jugend ist hier etwas Echtes aufgebrochen. Schon im „Wander-
vogel“ und jetzt in den Jugendbünden trat echter Sinn für das
Vgl. unten S. 177.