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Das Wesen der Ganzheit ist, wie schon Platon, Aristoteles, ja
schon die indischen Upanischaden lehren, dadurch bezeichnet, daß
es begrifflich vor den Teilen ist, „das Ganze ist früher als der Teil“,
das heißt es ist logisch, begrifflich früher, sagt schon ein uralter,
aber von der Aufklärung verstoßener Satz. Dies heißt nun: daß die
Einheit vor der Mannigfaltigkeit ist. Wenn nun der Staat eine
Ganzheit ist, so hat er auch Einheit und in diesem Sinne also auch
unbedingt „Verbandspersönlichkeit“. Ebenso aber jede Organi-
sation. Sofern sie eine in sich geschlossene Ganzheit darstellt, kommt
ihr auch Einheit zu, denn das Ganze ist nur durch Einheit.
Die Einheit des Ganzen wird man allerdings nie begreifen, wenn
man das Ganze aus Bestandstücken „zusammengesetzt“, „zusam-
mengestellt“ denkt. Hier gilt es vom individualistischen zum uni-
versalistischen Denken überzugehen. Denkt man die Ganzheit vor
den Teilen, dann liegt ihre Einheit in der Teilnahme sämtlicher
Glieder an ihr, die Glieder sind an sich gar nicht da, durch Teil-
nahme am Ganzen erst (die Platonische μέτεξις) werden sie zu Glie-
dern. — Das Ganze wird erst in den Teilen geboren — als Ganzes,
als Einheit ist es daher schon vorher da; und ferner gilt: das Ganze
als solches hat keine eigene Existenz, die „Einheit“ ist daher auch
keine Eins, nichts Greifbares, kein „Herr Staat“ noch sonst ein Kon-
kret-Einzelnes: es ist und lebt nur in den Gliedern. Gerade die Ein-
heit dieser Glieder macht die Ganzheit
1
.
Um es zu wiederholen; es ist nicht an dem, daß die Glieder zuerst da wären
und dann durch Zusammensetzung ein Ganzes bildeten; nach dieser atomistischen,
individualistischen Auffassung wäre allerdings die Einheit nur eine Fiktion, in
Wahrheit gäbe es nur die S u m m e oder den H a u f e n der Teile, echte,
eigene Ganzheit gäbe es dann nicht; sondern das Ganze ist vor den Teilen, es
gestaltet sich in den Teilen, es wird und entsteht in ihnen. Daher die Teile ent-
stehen nur als Glieder in der Einheit des Ganzen.
Die Frage der Verbandspersönlichkeit, so zeigt das Vorstehende,
ist lediglich eine Frage des Unterschiedes von individualistischer und
universalistischer Gesellschaffserklärung! Wieder erweist es sich, wie
durch Vernachlässigung der Grundentscheidung über Individualis-
mus — Universalismus die wichtigsten Theorien der gesellschaft-
lichen Einzelwissenschaften geschädigt werden.
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Vgl. mein Buch: Kategorienlehre, Jena 1923 (jetzt: 3. Aufl., Graz 1969 =
Gesamtausgabe Othmar Spann, Bd 9).