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überstehen. So der Verfall der Friederizianischen Armee bis Jena
und Auerstädt, das Wirken des Perikies, Demosthenes und anderer
tragischer Organisatoren, der Verfall der Kirchen. Über die Deu-
tung solcher Einzelfälle läßt sich allerdings streiten, so daß sie ihrer-
seits vielleicht nicht eindeutig für die eine oder andere Ansicht,
nämlich der Priorität der Organisation oder Priorität ihres „Inhal-
tes“, zeugen können. Dennoch werden bei derartigen historisch-
empirischen Analysen stets Beispiele für das eine oder das andere
erbracht werden können. Das ganze Verfahren taugt eben nichts,
man muß auf die inneren Quellen beider Erscheinungen zurück-
gehen! Dann wird man zu dem Ergebnis kommen: daß dieselbe
Kraft, die zur Gemeinschaftsbildung antreibt, auch bestrebt ist, den
erbildeten geistigen Gemeinschaftskörper durch Vorkehrungen glie-
dernd auszugestalten und verstetigend sicherzustellen. „Veranlas-
sung“ der zu vergemeinschaftenden Akte (als Bestandteil jeder Or-
ganisation) ist selbst wieder der aus Gezweiung folgende Akt, ist
selbst der Trieb zur Hervorbringung jener („veranlaßten“) Akte.
Die „Wegbahnung“ dafür (als ebenfalls notwendiger Bestandteil) ist
selbst der Trieb, alle diese Akte am vollkommensten, gemeinschafts-
gerechtesten gestaltet zu sehen, also selbst der Trieb zu vollkom-
mener Gemeinschaftsbildung. Organisation als scheinbar dienende
Magd für die Gemeinschaftsbildung ist vielmehr nur Fortsetzung
und Niederschlag dieses Bildungsvorganges. Insofern ist sie ebenso
primär wie der geistige Vorgang der Gemeinschaftsbildung selbst!
Innerlich kann auf die Dauer die Organisation dem Geiste der Ge-
meinschaft nicht entgegenstehen, weil sie nur reiner Ausdruck, nur
eine Form ihres fortgesetzten Ablaufs ist.
Beispiele bieten, sich dem Beobachter in Hülle und Fülle. Wer das Heer-,
Finanz-, Eisenbahnwesen in Deutschland, Österreich, Frankreich, Rußland be-
trachtet, findet treue Spiegelbilder des Lebens, nicht diese oder jene zufälligen,
von Direktoren, Ministern usw. abhängigen Gebilde. Das preußische Steuerwesen
(vor dem Kriege), das gerechteste und gewissenhafteste der Welt, zeigt aufs
genaueste den preußischen Charakter an sogar schon gegenüber dem süddeutsch-
österreichischen Steuerwesen, geschweige etwa gegenüber dem romanischen. Und
wer sieht, wie in Deutschland dieselben Vorschriften im Norden und Süden,
im Osten und Westen immerhin verschieden „gehandhabt“ werden, wird nicht
daran zweifeln können, daß in Wahrheit das Leben sich seine Formen selber
gibt. Will man daher das Wirken großer Organisatoren richtig beurteilen, so
muß man beachten, daß es nicht äußerlich auf die Organisationen, die sie schufen,
ankommt, sondern auf den „Geist“ darinnen, den sie einfangen und stärken,
zum Teil auch erst wecken mußten. Die Organisatoren waren erfolglos, wenn sie
die Vergemeinschaftungsvorgänge, die sie organisieren wollten, nicht vorfanden
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