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menschlich-geistigen Kräften folgt der Seelen- und Geisterbegriff;
aus den körperlichen Kräften aber folgt bei ungewöhnlichem Laufe
der Dinge der Z a u b e r g l a u b e . Dieser sei aber ein Glaube an
u n p e r s ö n l i c h e Kräfte (Zauberkräfte). Er soll der eigentliche
Sinn der Religion sein und daher der Satz gelten: Zauber war vor
Animismus. Daher heißt diese Lehre „Präanimismus“ oder präani-
mistische Zaubertheorie (James G. Frazer, King, Robert Marett und
viele andere).
Martin Paul Nilsson gibt dazu folgende Erklärung: „Diese Kraft wird besser
supranormal als übernatürlich genannt, da man mit Fug in Abrede gestellt hat,
daß auf primitiver Stufe zwischen Natürlichem und Übernatürlichem unterschie-
den werde. Dieser Art ist zum Beispiel die polynesische M a n a, irokesische
O r e n d a , im nordischen Volksglauben heißt sie noch M a c h t . Indem die
Kraft sich in Einzelfällen äußert und sich so differenziert, entstehen die M ä c h t e ,
Wesen, bei denen das Hauptgewicht nicht auf das Individuelle und Persönliche,
sondern auf die Wirksamkeit fällt. Solcher Art sind die römischen Numina und
die griechischen Δαίμονες in einer der homerischen Auffassungen.“
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Von dieser Auffassung aus wird auch das T a b u erklärt. Die
„Kraft“ gilt als übertragbar. Gegenstände, Personen, Örtlichkeiten
können mit ihr geladen werden (ähnlich etwa wie mit Elektrizität).
Die mit der Kraft geladenen Gegenstände und Menschen sind gleich-
falls tabu und dürfen nicht berührt werden. „Tabu“ heißt soviel wie
unverletzlich, verboten. Wenn zum Beispiel der Häuptling oder
Priester gewisse Speisen tabuiert, dürfen sie nicht genossen, wenn
gewisse Örtlichkeiten, nicht betreten werden. Häuptling und Prie-
ster sind tabu. Durch umständliche Gebräuche und Reinigungen
kann man sich jedoch wieder vom Tabu befreien. Je nach dem
Grunde des Tabu kann das Tabuierte heilig oder unrein sein.
Da die „Tabu-Mana-Formel“ von den Präanimisten als eine
„neue Minimumdefinition“ der Religion gegenüber dem „Animis-
mus“, dem Allbeseelungsglauben, betrachtet wird, führt sie un-
mittelbar dazu, den Zauberglauben als die älteste Stufe der Religion
zu betrachten, wie aus dem Früheren schon hervorging.
Da der Zauber nach der ethnologischen Schule in der Kunst be-
steht, jene „Kraft“ nach Belieben zu handhaben, wird sie auch als
die „primitive Wissenschaft“ definiert. Frazer unterscheidet zwei
Formen: die kontagiöse Magie, wobei die zu bezaubernden Per-
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Martin Paul Nilsson und Sam Wide: Einleitung in die Altertumswissenschaft,
herausgegeben von Alfred Gercke und Eduard Norden, Bd 2, Teil 4, Abschnitt:
Griechische Religion, 3. Aufl., Leipzig 1922, S. 274.