Table of Contents Table of Contents
Previous Page  3701 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 3701 / 9133 Next Page
Page Background

268

menschlich-geistigen Kräften folgt der Seelen- und Geisterbegriff;

aus den körperlichen Kräften aber folgt bei ungewöhnlichem Laufe

der Dinge der Z a u b e r g l a u b e . Dieser sei aber ein Glaube an

u n p e r s ö n l i c h e Kräfte (Zauberkräfte). Er soll der eigentliche

Sinn der Religion sein und daher der Satz gelten: Zauber war vor

Animismus. Daher heißt diese Lehre „Präanimismus“ oder präani-

mistische Zaubertheorie (James G. Frazer, King, Robert Marett und

viele andere).

Martin Paul Nilsson gibt dazu folgende Erklärung: „Diese Kraft wird besser

supranormal als übernatürlich genannt, da man mit Fug in Abrede gestellt hat,

daß auf primitiver Stufe zwischen Natürlichem und Übernatürlichem unterschie-

den werde. Dieser Art ist zum Beispiel die polynesische M a n a, irokesische

O r e n d a , im nordischen Volksglauben heißt sie noch M a c h t . Indem die

Kraft sich in Einzelfällen äußert und sich so differenziert, entstehen die M ä c h t e ,

Wesen, bei denen das Hauptgewicht nicht auf das Individuelle und Persönliche,

sondern auf die Wirksamkeit fällt. Solcher Art sind die römischen Numina und

die griechischen Δαίμονες in einer der homerischen Auffassungen.“

1

Von dieser Auffassung aus wird auch das T a b u erklärt. Die

„Kraft“ gilt als übertragbar. Gegenstände, Personen, Örtlichkeiten

können mit ihr geladen werden (ähnlich etwa wie mit Elektrizität).

Die mit der Kraft geladenen Gegenstände und Menschen sind gleich-

falls tabu und dürfen nicht berührt werden. „Tabu“ heißt soviel wie

unverletzlich, verboten. Wenn zum Beispiel der Häuptling oder

Priester gewisse Speisen tabuiert, dürfen sie nicht genossen, wenn

gewisse Örtlichkeiten, nicht betreten werden. Häuptling und Prie-

ster sind tabu. Durch umständliche Gebräuche und Reinigungen

kann man sich jedoch wieder vom Tabu befreien. Je nach dem

Grunde des Tabu kann das Tabuierte heilig oder unrein sein.

Da die „Tabu-Mana-Formel“ von den Präanimisten als eine

„neue Minimumdefinition“ der Religion gegenüber dem „Animis-

mus“, dem Allbeseelungsglauben, betrachtet wird, führt sie un-

mittelbar dazu, den Zauberglauben als die älteste Stufe der Religion

zu betrachten, wie aus dem Früheren schon hervorging.

Da der Zauber nach der ethnologischen Schule in der Kunst be-

steht, jene „Kraft“ nach Belieben zu handhaben, wird sie auch als

die „primitive Wissenschaft“ definiert. Frazer unterscheidet zwei

Formen: die kontagiöse Magie, wobei die zu bezaubernden Per-

1

Martin Paul Nilsson und Sam Wide: Einleitung in die Altertumswissenschaft,

herausgegeben von Alfred Gercke und Eduard Norden, Bd 2, Teil 4, Abschnitt:

Griechische Religion, 3. Aufl., Leipzig 1922, S. 274.