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bestehen und erst als Ganzes das Ganze der Erscheinungen erklären?
— Diese Frage erscheint innerhalb der Problementwicklung Mengers
nicht gestellt. Offenbar aber ist sie gültig, denn die (abstrakten) Ele-
mente oder Teilphänomene der gesellschaftlichen Erscheinungen ste-
hen in p r i n z i p i e l l e r Abhängigkeit voneinander und in durch-
gängiger gegenseitiger Bedingtheit
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, in einem Allzusammenhang, und
aus d i e s e m G r u n d e i s t d i e g r u n d s ä t z l i c h e A n a -
l o g i e m i t d e n N a t u r w i s s e n s c h a f t e n , die Menger an-
nimmt, bei den s o z i a l e n E r s c h e i n u n g e n n i c h t gül-
tig. Die Kausalreihen bei den Naturerscheinungen sind etwas unab-
hängig voneinander Verwirklichbares, zwar nur in empirischer Wech-
selbedingtheit Vorkommendes, nicht aber i h r e m B e g r i f f e
n a c h in prinzipieller Wechselbedingtheit Stehendes. Deshalb kann
angesichts der Naturerscheinungen schlechthin ein Nebeneinander-
stellen von Teiltheorien stattfinden; angesichts der sozialen Erschei-
nungen aber muß ein eigentümliches Ineinander der Theorien, ihre
Einordnung in das Ganze der sozialwissenschaftlichen Erkenntnis ge-
fordert werden.
Das ist das tiefere Problem in der abstrakten Richtung der Sozial-
wissenschaft: die abstrakten Teile stets in ihrer Eigenschaft als
T e i l e des Ganzen im Auge zu behalten, um so der sozialen Wirk-
lichkeit in ihrer prinzipiellen Kompliziertheit gerecht zu werden.
Nichts anderes als das allgemeine erkenntnistheoretische Problem
des Verhältnisses vom Teile zum Ganzen ist es, was hier vorliegt.
Was für die Bearbeitung dieses Problems in unserem Falle (— der
Aufgabe der Verhältnisbestimmung der Wirtschaft zur Gesell-
schaft —) das Entscheidende ist, hat Mengers Untersuchung nicht
hinlänglich beachtet. De r i n n e r e s t r u k t u r e l l e U n t e r -
s c h i e d e i n e r N a t u r e r s c h e i n u n g u n d e i n e r s o -
z i a l e n E r s c h e i n u n g . Bei einer Naturerscheinung ist aller-
dings das abstrakte Teilphänomen als Fürsichseiendes schlechthin
betrachtbar; das „Chemische“ und das „Physikalische“ kann ge-
trennt untersucht werden, ohne Rücksicht darauf, daß es in der
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Menger (Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften, a. a. O.)
selbst konstatiert diese Tatsache mehrmals (vgl. S. 165 f. und S. 140), stützt sich
aber hiergegen nur auf die oben erwähnte, erkenntnistheoretische Analogie mit
den Naturwissenschaften (vgl. S. 159 f. und S. 132 f.).