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C. Die p a n b a b y l o n i s c h e S c h u l e
Als ihr Begründer ist Hugo Winckler anzusehen
1
, als Vertreter
wären Oskar Fleischer, Peter Jensen, Alfred und Friedrich Jeremias,
Ernst Friedrich Weidner, als Gegner unter anderen Franz Xaver
Kugler zu nennen.
Der Grundgedanke dieser Schule ist folgender: die babylonische
Kultur und namentlich ihre Sternkunde ist die älteste der Erde.
Von Babylonien hat sich die Mythologie, die auf die Himmels-
erscheinungen zurückgeht (Identifizierung der Planeten mit Göt-
tern; Tierkreiszeichen, Astrologie), über die ganze Erde verbreitet
— ex O r i e n t e l u x ! —. Die Annahme, daß die Gestirngötter
und die Sternkunde nur in Babylon entstanden seien, ist nicht halt-
bar. Jedoch hatte sie unter anderen den Vorteil, die früher allzusehr
behauptete Selbständigkeit der griechischen Kultur (zum Beispiel
von Eduard Zeller in der Geschichte der Philosophie, von den
griechischen Philologen aller Arbeitsgebiete überhaupt) zu vernei-
nen. — Auch in jener Schule, die den Ursprung der Astrologie im
Norden sucht, erwuchs der panbabylonischen Schule ein Gegner
2
.
III.
Kritik der empiristischen Religionssoziologie
Unsere Darstellung versuchte, ein Bild der Einzelforschung der
naturalistischen Religionssoziologie von heute zu geben. Die Ärm-
lichkeit und Äußerlichkeit jener vielgerühmten „Ergebnisse“, an
denen die Arbeit ganzer Forschergeschlechter hängt, ergibt sich ohne
jede kritische Zutat unsererseits von selbst. Es möge aber noch
eine grundsätzliche Äußerung hier Platz finden, welche den Geist
beleuchtet, der diese gesamte Religionsforschung, auch wenn sie von
Theologen geführt wurde, leitete.
„Der Polytheismus und Monotheismus“, so sagt W e n d l a n d i m , H a n d -
b u c h z u m N e u e n T e s t a m e n t “ , „hat sich erst auf der breiten Grund-
lage niederer Glaubensformen, roherer Vorstellungen von Geistern und Dä-
1
Hugo Winckler: Die babylonische Geisteskultur in ihren Beziehungen zur
Kulturentwicklung der Menschheit, Leipzig 1907 (= Wissenschaft und Bildung,
Bd 15).
2
Siehe zum Beispiel Otto Hausers Einleitung zu seiner vorzüglichen Über-
setzung der Edda, Weimar 1925.