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Frage. Daß der Naturmensch sie als solchen nicht zu denken ver-
mag, aber außer Zweifel
1
.
Was man allen empiristischen, naturalistischen Schulen, von
Hume, Comte und Feuerbach an bis zu den Präanimisten von
heute, vorwerfen muß, ist dieses: daß sie R e l i g i o n o h n e
R e l i g i o s i t ä t e r k l ä r e n w o l l e n , Religion ohne Inner-
lichkeit, ohne Andacht! Ebensogut könnte man den Hunger aus
den Speisen erklären. Das tun aber alle Empiristen, denn sie er-
klären aus den Erscheinungsformen (Speisen) die Religion (den
Hunger) und kehren damit die Wahrheit um! Darum gehen diese
„Tatsachenforscher“ sooft gerade an der Grundtatsache, an der
Religiosität selbst, vorüber. Die u n r e l i g i ö s e R e l i g i o n
h a t e s a b e r n i e u n d n i r g e n d s i n d e r W e l t g e g e -
b e n . Darum sind diese treuen fleißigen „Tatsachenforscher“ sooft
nicht imstande, gerade die entscheidenden Tatsachen festzustellen.
G e s e l l s c h a f t l i c h e T a t s a c h e n s i n d e b e n k e i n e
K i e s e l s t e i n e z u m G r e i f e n , s o n d e r n m ü s s e n i n
i h r e r I n n e r l i c h k e i t , i h r e m S i n n e p r o d u k t i v
e r f a ß t w e r d e n . Nur dadurch, daß zum Beispiel ein so be-
rühmter Religionssoziologe wie Max W e b e r die Erscheinungs-
formen der Religion rein äußerlich nimmt und die Innerlichkeit der
Religiosität selbst beiseite läßt, ist es verständlich, daß er zu einer
solchen Begriffserklärung des Priesters wie die folgende kommt:
„ P r i e s t e r , d i e F u n k t i o n ä r e e i n e s r e g e l m ä ß i g
o r g a n i s i e r t e n s t e t i g e n B e t r i e b e s z u r B e e i n -
f l u s s u n g d e r G ö t t e r . . . “
2
— Bezeichnend dafür, wie sorg-
los sich viele vom Empirismus umstricken lassen, ist die freundliche
Aufnahme, die Max Webers Religionssoziologie auch in religiösen
Kreisen fand.
Die Fehleinstellung der Empiristen kommt auch äußerlich darin
zur Geltung, daß ihre Hypothesen — so scharfsinnig sie von Traum-
1
Daß auch die Natur nie und nimmer ein Mechanismus im strengen, ge-
nauen Sinne dieses Wortes ist, darüber vergleiche mein Buch: Der Schöpfungs-
gang des Geistes, Jena 1928, S. 175 ff. und 335 ff. (jetzt: 2. Aufl., Graz 1969,
S. 163 ff. und 303 ff. = Gesamtausgabe Othmar Spann, Bd 10).
2
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 2 Halbbände, Tübingen 1922,
Halbband 1, S. 227. — Der Satz ist von mir gesperrt, bei Max Weber ist nur
das Wort „Betrieb“ gesperrt.
18 Kleine Schriften