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stimmende Element des Lebens zu sein beanspruchte, hat es noch

nicht gegeben. Die Allgemeingültigkeit des Grunderlebnisses — das,

wennschon in wechselnden Erscheinungsformen, im letzten Grunde

W a h r h e i t enthält — bedingt den überempirischen Charakter

der Religion (der nicht eben glücklich als „apriorisch“ bezeichnet

wird) und schließt alle bloß psychologistischen Ableitungen aus

einem „transzendenten Hang“, einem „Trieb zum Übersinnlichen“

und dergleichen, dem keine Notwendigkeit innewohnt, ebenso aus,

wie alle die andern naturalistischen Erklärungen aus Furcht, Traum-

erfahrung und anthropomorpher Naturdeutung.

Dieser allgemeinste nichtempiristische Begriff der Religion genügt

für die Gesellschaftslehre, da er die Religion als subjektiven Geist

und als ein Ursprüngliches, daher aus Umwelt und dergleichen nicht

Ableitbares, bestimmt, und da er sie ferner als ein Führendes in

der Geschichte, im Gemeinschaftsleben wie im Innenleben des Ein-

zelnen erklärt.

Darüber hinaus haben für die Gesellschaftslehre die Besonder-

heiten der idealistischen Religionserklärungen nur die Bedeutung

von Hilfsbegriffen. Jedoch mögen im folgenden einige idealistische

Lehren zu Worte kommen.

K a n t leitet die Religion aus dem moralischen Gesetz ab, indem dieses zum

Begriffe des höchsten Gutes, zum Postulat der Gottesidee führt

1

. Das dünkt uns

für empiristische Zeiten eine große Tat; der letzten Frage gegenüber, die den

Nachweis des Metaphysischen selbst, nicht nur seine Postulierung, fordert, ist es

allerdings zu wenig. — Am bekanntesten ist heute im Schrifttum S c h l e i e r -

m a c h e r s Begriffsbestimmung. Danach ist die Religion kosmisches „Abhängig-

keitsgefühl schlechthin“. „Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern

Anschauung und Gefühl“ des Universums. Allerdings geht unseres Erachtens die

Empfindung des Metaphysischen über eine bloße „Abhängigkeit“ hinaus und

enthält auch ein Tätiges. Ferner ist der Vorbehalt zu machen, daß diese „Ab-

hängigkeit“ nicht als bloßes G e f ü h l verstanden werden darf, das dann nur

psychologisch und subjektiv begründet wäre. — Streng ontologisch entwickelt

H e g e l den Begriff der Religion. Religion ist ihm „die Beziehung des Geistes

auf den absoluten Geist [das ist den Weltgeist] . . . Dies ist nicht bloß ein Ver-

halten des [individuellen] Geistes zum absoluten Geist, sondern der absolute

Geist selbst ist das Nichtbeziehende . .. ; und höher ist so die Religion ... das

Selbstbewußtsein des absoluten Geistes . . . “ „So ist die Religion des göttlichen

Geistes von sich durch Vermittlung des endlichen Geistes.“

2

Was man auch an

1

Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, herausgegeben von Karl

Vorländer, 5. Aufl., Leipzig 1906, S. 165 (= Philosophische Bibliothek, Bd 38).

2

Friedrich Schleiermacher: Uber die Religion, Berlin 1799 (viele Neuauf-

lagen), S. 50 und öfter.