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Auf das Grunderlebnis baut sich auf: Zweitens der G o t t e s -
b e g r i f f mit jenem bestimmten Inhalt, welcher die besonderen
Lehrbegriffe der Religion begründet. Bei monotheistischer Religion
bilden diese das D o g m a , bei polytheistischen und anderen noch
einfacheren Religionsformen den M y t h o s . Der Mythos ist nicht
bloße Dichtung, unterscheidet sich aber vom Dogma dadurch, daß
er keinen ausgearbeiteten Lehrbegriff, sondern eine s i n n b i l d -
l i c h e D a r s t e l l u n g gibt.
Grundgedanke und Darstellung können sehr tiefsinnig sein, wie
der germanische Mythos von der Weltesche, die ihre Wurzeln im
Himmel, ihre Wipfel unten hat; oder wie der Mythos von den
Einheriern, die mit ihren Göttern gegen die dunklen Mächte des
Fenriswolf und der Hel in den Kampf ziehen. Das Grunderlebnis
wie die Darstellung können aber allzu leicht durch n a t u r a l i -
s t i s c h e U m d e u t u n g und durch n a t u r a l i s t i s c h e s
H ä n g e n b l e i b e n a n V e r m i t t l u n g e n g e t r ü b t u n d
v e r f ä l s c h t werden.
Das beweisen namentlich die t h e o g o n i s c h e n M y t h e n ,
die den Schöpfer zerreißen und als Baustoff der Welt betrachten.
Dadurch geht der echte Schöpfungsgedanke (die Schöpfung aus dem
Nichts) verloren, dadurch wird die Gottheit selbst verloren und
geht in der Welt unter (Pantheismus). Das r e l i g i ö s e G r u n d -
e r l e b n i s w i r d h i e r s c h l e c h t v e r s i n n b i l d l i c h t
— a b e r e s b l e i b t n i c h t s d e s t o w e n i g e r a u c h h i n -
t e r d e r F e h l d e u t u n g n o c h b e s t e h e n .
Nur Dogma und Mythos sind es, die wechselnden Inhalt in der
Religionsgeschichte zeigen, das letzte religiöse Grunderlebnis ist
überall von derselben Art. Auch hier begeht die naturalistische
Soziologie den schweren Fehler, die ungeheure Vielfalt religiöser
Vorstellungen nur arithmetisch für sich hinzunehmen, ohne den
inneren Einheitspunkt im letzten Erlebnisgrund aufzusuchen.
Einen dritten Grundbestandteil bildet der G o t t e s d i e n s t
o d e r K u l t u s , den wir im folgenden noch kurz betrachten
wollen.
Die Bestandteile des Gottesdienstes sind subjektiv: G e b e t , G e l ü b d e
u n d O p f e r ; objektiv: die Opferordnung, das ist die Darstellung der Heils-
geschichte. Alle zielen ihrem Wesen nach auf eine Gemeinschaft mit der Gott-
heit. Für den Gottesdienst werden dienstbar gemacht alle dem jeweiligen Lehr-
begriff entsprechenden M i t t e l d e r K u n s t : Musik, Baukunst (Tempel),