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Als ein nicht-ursächlicher, dem Begriff der Ganzheit nahekommender anderer
Begriffsversuch sei endlich noch die „ f r e m d d i e n l i c h e Z w e c k m ä ß i g -
k e i t “ von Erich Becher
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erwähnt, die zuletzt, wenn ich sie recht verstehe,
auf den Leistungsbegriff (Mittel für Ziele) hinaus will.
Wenn der Leser unseren Beweis für gelungen erachtet, daß es in
der Wirtschafts- und Gesellschaftslehre kein einziges ur- / sächliches
Gesetz gebe, dann ist der Hauptzweck unserer Bemühungen er-
reicht. Denn die Erweiterung dieser Behauptung auf das gesamte
Gebiet der Geisteswissenschaften ist nun selbstverständlich. Wer die
Sachlage genau prüft, kommt zu dem Ergebnis, daß mit dem ur-
sächlichen Verfahren in den Geisteswissenschaften überhaupt nie-
mals Erkenntnisse gewonnen wurden. Es zerstückt zuerst die Dinge,
tötet sie ab, treibt ihren Geist aus — was sollte dann noch daran
zu „erkennen“ sein? Statt die Dinge selber anzusehen, wie sie in
ihrer ursprünglichen Ausgegliedertheit und Ganzheit sind, schaut
dieses Verfahren in einen Zerrspiegel, um sie dort auseinander-
gerissen und in ihrem Gliedsein gewissermaßen geleugnet wieder zu
erblicken.
Der ursächliche Standpunkt, das ist unser Ergebnis, zeigt sich in
den Geisteswissenschaften überall als wesenswidrig. Gleichwie ein
Feldherr mit den Fliehenden keine Schlacht schlagen kann, sondern
nur mit solchen, die imstande sind zu kämpfen; gleichwie das Le-
ben nicht mit dem Toten bestehen kann, sondern in allen Glie-
dern lebendig sein muß; so kann die Geisteswissenschaft mit der
ursächlichen Begriffsweise nicht zur Wahrheit gelangen. Die Gei-
steswissenschaft kann ihren Gegenstand nicht äußerlich greifen, aber
dafür innerlich begreifen, und sie muß nach einem methodischen
Standpunkt suchen, der ihr dies zu tun erlaubt. Dieser Standpunkt
ist allein durch den Begriff der Ganzheit bezeichnet.
Das sollen die folgenden Blätter erweisen. Bevor wir dazu über-
gehen, erscheint es geboten, durch einen kurzen lehrgeschichtlichen
Überblick unsere späteren Untersuchungen vorzubereiten.
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Erich Becher: Die fremddienliche Zweckmäßigkeit der Pflanzengallen, Leip-
zig 1917.