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rung mit ihr in wichtigen Punkten wird unten noch öfters zum Aus-
druck kommen. Ihr ist aber vorzuhalten, daß sie all die bedeuten-
den, ihr tief verwandten Gedanken des deutschen Idealismus von
Kant bis Hegel beiseite liegen läßt, so daß sie selbst ohne Anregung
zur Fortbildung bleibt und den / Anschluß an die lebendige
Gegenwart, an den durch den deutschen Idealismus bestimmten
Gang der Philosophie versäumte. Was sie selbst unterließ, besorgen
dafür zum Schaden der Sache die weit weniger gediegenen, logistisch
und formalistisch verunzierten Lehrversuche der Husserlschule,
die ihrerseits an den Neuaristoteliker der siebziger Jahre Franz
Brentano anknüpft.
Eine Darstellung der heutigen Lehrmeinungen über Kategorien
erübrigt sich um so mehr, als Oswald Külpe sie in vortrefflicher,
kurzer Übersicht vorführte. Indem ich auf diese Schrift verweise
1
,
hebe ich im folgenden nur drei Versuche der Gegenwart, jene
Trendelenburgs, Hartmanns und Drieschens, kurz hervor.
Das erste sind die „Logisdien Untersuchungen“ von T r e n d e l e n b u r g
2
.
Sie stehen auf aristotelischem Standpunkt und sind vor allem dadurch bedeut-
sam, daß Trendelenburg neben den kausal-mechanischen Kategorien, die „Kate-
gorien der Bewegung“, wie er sie nennt, auch „Kategorien aus dem Zweck“ ent-
wickelt. Letztere sind hauptsächlich folgende: Mittel, organische Quantität, Eben-
maß; organische Form, organische Materie, Organismus und maschineller Mecha-
nismus, organische Tätigkeit; Ganzes und Teil, Inhärenz, organische Wechsel-
wirkung und organische Kraft. Neben diesem Gebäude der Kategorien „aus dem
Zwedte“ steht jenes „aus der Bewegung“ (Raum, Zeit, Quantität usw.); und ne-
ben beiden Gebäuden als den „realen Kategorien“ noch ein Gebäude von
„modalen Kategorien“, die den Kantischen Verstandesbegriffen ähnlich sind
(Erscheinung, Wirklichkeit, Grund als Erkenntnis- und Realgrund, Notwendig-
keit, Möglichkeit, Unmöglichkeit und so fort). — Diese Tafel läßt an systemati-
scher Klarheit zu wünschen übrig. Die verschiedenen Arten von Kategorien stehen
nebeneinander. Auch die Verbindung eines abgeschwächt Kantischen Elementes
mit dem aristotelischen (ontologisch-realen) gelang offenkundig nicht.
E d u a r d v o n H a r t m a n n s „Kategorienlehre“
3
gibt ein aus Schopen-
hauer, Hegel und empiristischem Psychologismus unter Vorherrschaft des / letzteren
zusammengebrautes Gemisch. Die Kategorie ist ihm eine „unbewußte Intellektual-
funktion“ oder eine „unbewußte logische Determination“, die eine bestimmte „Be-
1
Siehe unten S. 48.
2
Friedrich Adolf Trendelenburg: Logische Untersuchungen, 2 Bde, 3. Aufl.,
Leipzig 1870.
3
Eduard von Hartmann’s ausgewählte Werke, Bd 10: Kategorienlehre, Leip-
zig 1896. — In seinem Werk: Geschichte der Metaphysik, 2 Bde, Leipzig 1899 bis
1900 (= Eduard von Hartmann’s ausgewählte Werke, Bde 11 und 12), hat Hart-
mann den Kategorien der einzelnen Systeme besondere Aufmerksamkeit ge-
schenkt.