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der Architekt seine Idee des Hauses verwirklicht, aber nicht die Ausgliederung
der Idee des Hauses selbst, die im „Bauplan“ gegeben ist. Wer die Z i e -
g e l s t e i n e e r z e u g t , i s t d a h e r n i c h t d e r p l a n e n d e A r c h i -
t e k t ; w e r d i e L a u t e h e r v o r b r i n g t , n i c h t d e r D i c h t e r d e s
N i b e l u n g e n l i e d e s . Ebenso gilt; Der Tonsetzer ist nicht jener, welcher
die Geigen und Harfen baut; der Maler nicht jener, welcher Leinwand und
Rahmen erzeugt, der Staatsbürger nicht jener, der in Form von Eiweißstoffen
die Organismen der Menschen ernährt oder hervorbringt.
Genauso muß, um noch ein anderes und letztes Beispiel anzuführen, eine
Fabrik als Ganzes „geplant“, ausgegliedert werden. Die Glieder, die sich in Wirt-
schaftshandlungen, wie zum Beispiel in Einkauf von Rohstoffen, Anstellung der
Arbeitskraft, in Kalkulationen, Kapitalanlagen, Eingliederung der Erzeugnisse in
den Absatzmarkt, darstellen, werden nicht ursächlich erzeugt, sondern sind sinnvolle
Bestandteile der wirtschaftlichen Ganzheit „Fabrik“. Das Stoffliche daran, wie
der Eisenstoff der Maschinen, das Protoplasma der Organismen der Arbeiter,
l i e g t a u f a n d e r e r E b e n e und gehört anderen Ganzheiten an.
Hiermit ist klar gezeigt, daß und in welchem Sinn das Ganze vor
den Teilen sei, nämlich nur logisch, begrifflich, wesenhaft; nicht
aber in dem Sinn, daß das Ganze als stoffliche Kraftkammer oder in
anderer Weise ein Verdinglichtes von den Teilen wäre und sie dann
stofflich-ursächlich „hervorbrächte“ — in welchem Fall es, wie wie-
derholt gesagt, / notwendig kein Ganzes mehr, sondern selbst nur
ein Stück und Teil wäre.
In o n t o l o g i s c h e r H i n s i c h t bemerke ich, daß man dieses Verhältnis
der Priorität des Ganzen zum Teil auch durch den Satz der Hegelischen Logik
„Das Wesen erscheint“ bezeichnen kann; oder durch das aristotelische
„
το τί ήν είναι
“,
das Vordem; oder auch durch den aristotelischen Begriff der aktiven
„Möglichkeit“, aktiven „Dynamis“ (aktiven Potenz).
Wie man aber das logische Früher-Sein ontologisch auch fasse, ist für den
Wahrheitsgehalt des Satzes „das Ganze ist vor den Teilen“ nicht maßgebend.
Dieser Satz selbst ist ein rein analytischer Satz von kategorialer und methodo-
logischer Bedeutung. Real hat das logische Frühersein je nach der Art der Ganzheit
allerdings verschiedene Bedeutung
1
.
Damit möge es an der Erklärung unseres Satzes genug sein. Nun
gilt es aber noch, die falschen Gegenlehren ins Auge zu fassen, näm-
lich, erstens daß der Teil vor dem Ganzen sei; und zweitens, daß
weder der Teil vor dem Ganzen noch das Ganze vor dem Teil sei,
sondern ein Mittleres zu gelten habe. Wir besprechen diese Sätze
nacheinander.
1
Vgl. unten S. 156 über den „Vorrang“.