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Person zu suchen, das kann nur dem einfallen, der in das Wesen der

Ganzheit und des Seins keine lebendige Einsicht hat.

Im besonderen ist auch festzustellen, daß das Unvollkommene und

Böse nicht ausschließlich „Beraubung“ (

σνέρι σις)

ist, wie die An-

tike es bestimmte, sondern ein im Vergehen Begriffenes, weil un-

gliedhaft Gewordenes.

Unvollkommen ist sowohl ein Mehr wie ein Weniger von Glied-

sein im Rahmen des Ganzen. Das Mehr im Leben des Gliedes be-

deutet gegenüber dem Ganzen Wucherung, Scheinblüte, Hypertro-

phie, sich zu Größerem Aufwerfen, als dem Gliedhaften seines

Wesens entspricht; Empörung und Aufstand, wie das Genie der

deutschen Sprache so treffend für / „Rebellion“ sagt. Im Organis-

mus zum Beispiel kann das Herz sich nicht übermäßig ausgliedern.

Unter solchem Wuchern leiden sofort die andern Organe, der ganze

Körper wird „krank“: und so ist das Mehr des Gliedes nur ein

augenblickliches Scheinwuchern, weil es die Grundlage seines eige-

nen Lebens, die Ganzheit, angreift und mit dem übrigen Organis-

mus bald auch sich selbst zugrunde richtet. Die Bürger, die ihre

Stellung überschreiten, sind ebensolche Wucherer und Empörer;

desgleichen der König oder der Beamte, der seine Gewalt über-

schreitet und mißbraucht. Sie alle greifen ihre eigene Lebensgrund-

lage, das Ganze des Staates an, auf dem sie beruhen. Genau so ist es

in jeder Ganzheit, sei es, daß der Handel oder die Börse oder der

„Monopolist“ in der Volkswirtschaft sich mehr breit macht und aus-

gliedert, als ihm wesensgemäß zukommt; sei es, daß im Recht und

in der Rechtspflege der Formalismus oder einzelne Rechtsgedanken

im besonderen, zum Beispiel die Rechtsidee des freien Vertrages

oder die Rechtsidee der Obrigkeit, überwuchern; sei es, daß in der

Armee die Willkür der Vorgesetzten, sei es, daß in der Kirche die

Stellung des Unteren oder des Oberen, die Stellung des Subjektiven

oder des Dogmas überwuchern. Das Überwuchernde ist zuletzt nur

Schein-Wirkliches, Schein-Autarkes, denn es erschüttert die Grund-

festen, auf denen es selber ruht. Jede solche Rebellion ist darum

Sterbengehen, sowohl im Einzelnen wie im Ganzen. Wenn die Men-

schen ihre eigenen Taten betrachten, wie können sie sich dann wun-

dern, daß die Geschichte von Leiden und Greueln erfüllt ist? In

der Geschichte erfüllt sich nur das Urgesetz des Seins, daß alles,

was aus seinen Schranken tritt, aufhört zu sein. Sowie aber die Un-