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und ihm daher nur / die im Rahmen dieses Wesens gegebene Selb-
ständigkeit zugewiesen wurde. Ist diese Selbständigkeit mißbraucht,
überschritten, dann ist am W e s e n gerüttelt worden — und
darum läßt sich auch von dem obigen Satz nichts abhandeln und das
einmal Zerstörte nicht unzerstört machen. Soll dies an einem schar-
fen Beispiel erläutert werden, so wäre zu sagen: Was einmal über-
wuchert ist, gleicht der Eiterbeule, die nur aufgeschnitten, ausge-
schieden (auch resorbiert), vernichtet, aber nicht „zurückgenom-
men“ werden kann, wie wohl schlechte Schachspieler ihre Züge
zurücknehmen. Was einmal schlecht geworden ist, ist endgültig ver-
loren, es hat sich auf den Weg des Nichtseins begeben. Was aus dem
Ganzen herausgetreten und verbildet ist, woher sollte dieses die
Kraft zur Rückkehr, zur inneren Umbildung nehmen? Es ist ja
eben darum aus dem Ganzen getreten, weil seine Eigenkraft stärker
wirkte als das ihm übergeordnete Ganze, weil das Ganze, indem es
ihm, dem Gliede, nach der Weise der lebendigmachenden Ebenbild-
lichkeit Kraft und Freiheit schenkte, seine Oberhoheit und Füh-
rung einbüßte und gewissermaßen unterlag.
Demgemäß sind Reue und Verzeihung gefährliche Begriffe.
„Reue“ ist eine subjektive Vorbedingung für einen neuen Anfang,
aber der neue Anfang ist etwas ganz Eigenes. „Reue“ an sich leistet
nichts, macht nichts gut; was nötig ist, ist ein neuer Anfang —
weshalb das Sprichwort: „Nichts bereuen ist aller Weisheit Anfang“,
indem es den Anfang, die Neuausgliederung über das, was unab-
änderlich geschehen ist, stellt, ins Herz der Sache trifft. „Verzei-
hung“ sodann kann es im objektiven Sinne gleichfalls nicht geben.
Ebensowenig wie man machen kann, daß die Sonne zu Mittag
untergehe, ebensowenig kann man im angegebenen Sinne „ver-
zeihen“, was geschah; denn kann das Geschehen je ungeschehen
werden, darf die sittliche Rechnung weniger richtig sein als die
Zahlenrechnung? „Verzeihen“ kann man nur im Hinblick auf die
vorhandene oder / erwartete Erneuerung, auf die objektive Rück-
umwandlung, Neuausgliederung. Eben dies ist aber keine Verzei-
hung dessen, was geschah, sondern eine Würdigung dessen, was ge-
schieht oder zu erwarten ist. „Subjektiv“ ist Verzeihung berech-
tigt lediglich als Anerkennung der wirklich vollzogenen Umwand-
lung, des Neubeginns; objektiv gibt es kein Verzeihen, weil es
kein Rückgängigmachen dessen gibt, was war. Nur im Neubeginnen