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bestandes beschränkt. Die Sünde selbst ist schon die Strafe, wie Mei-

ster Eckehart tiefsinnig sagt. Auch Hegel faßt die Strafe als Auf-

hebung des Unrechtes. Und dasselbe enthält die Idee der Götter-

dämmerung, welche die alte, schlechte Welt samt ihren Göttern

gleichsam einschmilzt; und endlich sagt uns dasselbe auch die Idee

des jüngsten Gerichtes, die man in Mozarts Requiem als das Zu-

rechtrücken der Welt durch den höchsten Richter dargestellt findet.

Selbst die G n a d e darf nicht so verstanden werden, als ob sie

Verdorbenes änderte, als ob sie das, was geschehen, rückgängig

machte, als ob sie das, was, aus dem Ganzen herausgetreten, in das

Nichts hinabgestürzt ist, wieder in das Sein zurückriefe. Selbst sie

gibt nur den Neubeginn, die Neuausgliederung, wie sich denn auch

in den tiefsten theologischen Spekulationen darüber unverkennbar

zeigt.

Dieses weiß, wer die Ganzheit versteht.

Wird aber in neuer Tätigkeit die Einstimmung des Eigenlebens

mit dem Ganzen, die Ausgewogenheit von Eigenleben der Glieder

und Darstellung der Ganzheit erreicht, dann kehrt der F r i e d e

ein, die innere Ruhe, schöpferischer Fortgang, Seligkeit. Am schön-

sten hat den Weg und das Ziel der Voll- / kommenheit alles Ge-

schaffenen in der Einstimmung des Eigenlebens mit dem Höheren

die heilige Gertrud von Helfta, genannt die Große, geschildert

1

.

„Wenn ich“, so kommt ihr beim Anblick des lieblich grünenden

Klosterhofes, den ein helles Bächlein durchfließt und Tauben durch-

fliegen, in den Sinn, „wenn ich den Fluß Deiner Gnaden mit be-

ständiger Dankbarkeit in Dich, seinen Urquell, zurückergösse; wenn

ich, durch gute Werke grünend und blühend, in Weise der Bäume

wüchse; wenn ich in freiem Fluge gleich der Taube dem Himmli-

schen zustrebte, und hiedurch, mit den Sinnen des Körpers vom

Lärm der Außenwelt hinweggezogen, die ganze Seele mit Dir allein

beschäftigte: Dann würde mein Herz dir eine liebliche Wohnstätte

darbieten.“

Der Kern und das letzte Geheimnis der Freiheit ist die Über-

nahme des höheren Gattungs- und Gotteslebens. Dieses Überneh-

1

Gertrudis, Magna Sancta: Der heiligen Gertrud der Großen, Gesandter

der göttlichen Liebe, deutsch von Johannes Weißbrodt, 6. und 7. Aufl., Freiburg

i. Br. 1920, S. 77 ff. (= Aszetische Bibliothek, Bde 1 und 2).