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[202/203]

187

IL Der Verlauf der Umgliederung

A.

A l l g e m e i n e B e g r i f f s b e s t i m m u n g

Die Umgliederung geschieht, wie sich zeigte, ebensowenig wie

die reine Ausgliederung in der Weise, daß sich das Ganze in der

Zeit Stück für Stück, das heißt in Vereinzeltem, darstellte; sondern

sie hat jedesmal ein vollständig ausgegliedertes Ganzes, ein voll-

ständiges G e b ä u d e von Gliedern zur Grundlage. Von dieser

Grundlage geht sie aus. Umgliederung geschieht also so, daß sich

(1)

in einem jeweils systematisch ausgegliederten Ganzen ein be-

stimmtes Glied ä n d e r t ; und daß sich

(2)

dieser Änderung gemäß nun bei allen anderen Gliedern n e u e

E n t s p r e c h u n g e n ergeben müssen.

Der Weg der Ausgliederung in der Zeit ist der Prozeß der Her-

stellung neuer Entsprechungen, ist Umgliederung. Hiefür einige

Beispiele.

Ein einfaches Beispiel bietet das organische Leben mit dem Stoffwechsel. Dieser

ist dadurch gekennzeichnet, daß er „regulatorisch“ stattfindet, das heißt unter

Hinordnung auf die anderen Organe, das Ganze, nicht mechanisch. „Jetzt geht

ein chemischer Aufbau hier vor sich und bald wird ein chemischer Abbau dort

vor sich gehen .. .“

1

. Was die Physiologen „regulatorisch“ nennen, ist in Wahr-

heit die Herstellung einer neuen Entsprechung, eine Folge von Schritten, die

der Ganzheit / des Organismus gemäß ist. Wenn im Organ A ein Abbau statt-

fand, müssen in sämtlichen Organen neue Entsprechungen auftreten.

Das durchsichtigste Beispiel der Umgliederung aber bietet, man erschrecke vor

dem nüchternen Fall nicht, eine Fabrik, in der eine neue Maschine eingestellt

wird. Nun ändert sich die ganze Fabrik: zunächst muß die betreffende Abteilung,

dann die Buchhaltung, die Kalkulation, die Rohstoff- und Arbeiterverwendung

geändert werden und schließlich muß die ganze Fabrik „umgestellt“, das heißt

umgegliedert werden.

Das gleiche zeigt sich im Staat. Wird ein neues Staatsorgan, zum Beispiel

in einem vorher absolutistischen Staat ein Parlament eingeführt, so müssen

a l l e Staatsorgane daraufhin verändert, nämlich umgegliedert werden. Ein an-

deres Organ als früher ist nun der König, ein anderes als früher die Ministerien,

andere Organe sind nun alle Behörden und Beamten, sind die Richter und so fort

geworden, denn ihre Rechte und Pflichten, ihre ganze Stellung, müssen sich nun

alle e n t s p r e c h e n d den Rechten und Pflichten des neuen Organs „Parla-

ment“ ändern. — So geht es in jeder Organisation, sei es Kirche, Heer, Familie,

Zunft oder Verein. Der Veränderung eines Organs wird stets ein Umgliede-

rungsvorgang des ganzen Gliederbaues entsprechen.

Ebenso der Begriff. Wenn ein Merkmal eines Begriffes eine Veränderung

erfährt, so muß das auf den Zusammenhang aller andern Merkmale eine „Rück-

1

Hans Driesch.