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sischen Form als unhaltbar erkannt hat. Worum es hier geht, sei im

Sinne Spanns lediglich noch im Anschluß an das etwas näher be-

leuchtet, was man den „Zufall“ nennt. Zufall ist im Sinne jenes

Ordnungsgedankens die Durchkreuzung sinnhaften Geschehens. Da-

her gibt es in ihm übrigens angesichts der Allwissenheit Gottes zu-

letzt überhaupt keinen Zufall. Im endlichen Geschehen tritt er bei

Aristoteles in zweifacher Hinsicht auf: erstens als Durchkreuzung

der entelechialen Verwirklichung organischer Ganzheiten, die sich

zu ihrer arteigenen Vollkommenheit nur dann entwickeln können,

„wenn nichts dazwischen kommt“, wenn also zum Beispiel das

Korn nicht auf Steine fällt — zweitens als Durchkreuzung sinn-

vollen Handelns, bei dem auch etwas dazwischen kommen kann,

zum Beispiel die Verhinderung der Ausführung eines Werkes durch

Krankheit. Es liegt diesem Konzept der Gedanke zugrunde, daß al-

lem Sein und Geschehen auf seine Art Sinn zukommt, der freilich

vielfach im einzelnen durch den Zufall gestört werden kann. Noch

Hegel spricht in dieser Hinsicht von der „Vernünftigkeit des Wirk-

lichen“. Der Zufall erscheint als Ausnahme sinnvollen Geschehens.

Für die Neuzeit ergibt sich eine vollkommen andere Lehre vom

Zufall. Mit der vollständigen Ausschaltung der aristotelischen Tra-

dition schrumpft die Vernünftigkeit des Wirklichen auf jene mani-

pulierbare Restvernünftigkeit ein, die durch den Bereich der exak-

ten Wissenschaft charakterisiert ist. In der Tat bezeichnet zum

Beispiel Kant alles als zufällig, was nicht im Sinne der zeitgenös-

sischen Physik gesetzmäßig, das heißt zuletzt in Anwendung der

Mathematik erklärbar ist. Selbst das, was wohl ursprünglich für

die Bildung des Sinnbegriffes angesetzt werden kann, das zielbe-

wußte Handeln des Menschen, zum Beispiel auch in seiner sittlichen

Selbstverwirklichung, erscheint als Zufall: eine zwar für den Wis-

senschaftstheoretiker Kant verständliche, für den Ethiker Kant aber

schlechthin erstaunliche Lehre. Die Aktualität dieser Problematik

in Zeiten, in denen sich manche Leute überlegen, ob man das

Pfuschwerk „natürlicher Mensch“ nicht durch elektronische Ma-

schinen ersetzen soll, liegt auf der Hand. Es ist hier nicht der Ort,

auf diese Fragen näher einzugehen, zumal die gegebenen Hinweise

wohl genügen, die Bedeutung der ganzheitlichen Kategorienlehre

Spanns an ihren Ort in der philosophia perennis der europäischen

Tradition und zugleich ins rechte Licht zu stellen.