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fachter Weise
1
. Dem einfachen Menschen wird nur das Einfache
eingegeben. Auch sein Geist / ist „begabt“ und wird ebenso ruhe-
los bewegt wie der des andern. Jede Mutter kennt die Begabung
ihres Kindes. Die Fülle der Gesichte ist immer da, beim hohen und
gesammelten Geiste sind es die hohen, beim niederen und zerstreu-
ten Geist die niederen Gesichte. — Ein S c h w a r m e n d l o s
s i c h d a r b i e t e n d e r B i l d e r , E i n f ä l l e , V o r s t e l -
l u n g e n , G e d a n k e n , G e f ü h l e , A n r e g u n g e n , A n -
w a n d l u n g e n , A u f f o r d e r u n g e n d u r c h z i e h e n u n -
a u f h ö r l i c h d e n G e i s t j e d e s M e n s c h e n . Wer sich
ihm allzu untätig und erleidend überläßt
2
, fällt daher der I d e e n -
f l u c h t anheim — ein Begriff, der aufs deutlichste die Eingebung,
das ruhelose „Geschaffenwerden“ am Grunde unsres Geistes anzeigt!
Schon das gewöhnliche, zusammenhängende Denken, wie es der gesunde Haus-
verstand in den gemeinen Angelegenheiten des Lebens verlangt, verrät insofern
die Vorgeschaffenheit selbst dieses einfachen Denkens, als es nicht in „Ideen-
flucht“ verfallen darf! Die Flucht der Ideen und Anwandlungen ist nicht etwa
mit dem Worte „Assoziation“ abzutun! Denn selbst die bloß „mechanisch“ asso-
ziierten Inhalte (wenn es Mechanisches im Geiste überhaupt gäbe) könnten nicht
uneingegeben da sein, sie müßten irgendwoher stammen.
Bedenken wir das alles, so folgt daraus ein dem Hauptverfahren
der neueren Seelenlehre entgegengesetztes Ergebnis: Das Leben des
Geistes darf nicht so betrachtet werden, als baue es auf die Sinnes-
eindrücke auf und erschöpfe sich in deren Verarbeitung (wie es
nicht nur die Assoziationspsychologie, sondern in verfeinerter
Weise im Grunde fast alle heutigen Schulen ansehen); das Gegenteil
ist richtig. Der m e n s c h l i c h e G e i s t w ä c h s t w i e d i e
W e l t e s c h e , d i e i h r e W u r z e l n i m H i m m e l u n d
i h r e n W i p f e l a u f d e r E r d e h a t , v o n o b e n h e r -
u n t e r . Die ganze Schöpfung hat diese Weise der Weltesche. Das
zeigt die Seinslehre mit ihrem Hauptsatze „Schaffen aus Geschaf-
fenwerden“. Das wird auch die Ideen- / lehre zeigen. Wie in der
Seinslehre so muß auch in der Geisteslehre die Herabgliederung
1
Die mit den Lebensverrichtungen des Organismus verbundenen Erschei-
nungen, die „Triebe“ usw. sind von den oben behandelten Erscheinungen aus-
geschlossen und streng zu trennen; siehe darüber unten S. 261 ff.
2
Das heißt ohne „acceptatio“ und ohne „executio“, siehe unten S. 222 ff.