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G a n z e s das „Organ“ der Seele. „Organ“ will besagen: die Ver-

bindungsstelle des Geistes mit der Stofflichkeit, das Gesamt-Sinnes-

organ des Geistes. Daher hat die Seele keinen örtlichen Sitz, sondern

ist in jedem Gliede ganz.

Das romantische Schrifttum hat die Lehre vom Entsprechungsbilde mit Erfolg

begonnen. Soweit ich darin bewandert bin, fand ich das Beste darüber bei

J o s e p h E n n e m o s e r

1

, wenn er auch nicht immer genau und nüchtern

genug vorging. Daß diese Untersuchungen verfielen, liegt nicht etwa an den Fort-

schritten der neueren Physiologie und Medizin, die im G e g e n t e i l i n

d e r n e u e s t e n K o n s t i t u t i o n s

1

e h r e u n d S ä f t e l e h r e u n b e -

w u ß t i n d i e a l t e n B a h n e n z u r ü c k l e n k t ; es liegt an der Psycholo-

gie. Die Schuld lag anfangs an der Hegelischen Seelenlehre, die mit ihrem Ver-

fahren der dialektischen Widersprüche nicht gut an den physiologischen Glieder-

bau des Leibes herankam und später an der „Psychologie ohne Seele“, der Asso-

ziationspsychologie, die auch in ihren heutigen kritischsten Formen, den Körper

freilich nicht gut als das Entsprechungsbild eines „Komplexes von Vorstellen,

Fühlen und Wollen“ auffassen kann. Erst wenn die Geistes- und Seelenlehre

wieder zur Erkenntnis der inneren G l i e d e r u n g des Geistes kommt, erst

dann hat sie wieder die Möglichkeit dafür, auch im Körper das Entsprechungs-

bild zu suchen.

Die Gezweiung höherer Ordnung begründet eine neue Stufe des

Geistes, die körperlich-organische oder vegetative Stufe, die wir mit

einem Aristotelischen Ausdrucke auch „vegetative Seele“ nennen

können (Platon:

έπιθνμητιχόν))

2

.

Diese Stufe ist dem Geiste aber

nicht im vollen Sinne des Wortes arteigen. Denn seine Ausgliede-

rungstätigkeit bleibt hier nicht auf eigener Ebene, sondern ist mit-

bestimmt durch die Beschaffen- / heiten (Qualitäten) des Stoffes,

der ihm innerlich verbunden ist und dadurch seinen „Leib“ bildet.

Die Ausgliederungstätigkeit des Geistes in dieser Gezweiung hö-

herer Ordnung ist im wesentlichen eine v o r b e w u ß t e . Wie

wir die Gezweiung höherer Ordnung mit dem Stoffe vollziehen,

davon ist dem erwachten Geiste nichts bekannt, er weiß nichts von

seinen Bildungs- und Wachstumsvorgängen. Aber in der Befriedi-

gung von H u n g e r u n d D u r s t vermögen wir uns wohl eine

ganz dunkle Ahnung von dem c h t h o n i s c h e n L e b e n die-

1

Joseph Ennemoser: Der Geist des Menschen in der Natur oder die Psycho-

logie in Übereinstimmung mit der Naturkunde, Stuttgart 1849, §§ 248 ff.

2

Aristoteles: Drei Bücher über die Seele, übersetzt von Adolf Busse, Leipzig

1911, Drittes Buch; Platon: Staat, 435 b ff., 504 a ff. (Platons Staatsschriften,

griechisch und deutsch, herausgegeben von Wilhelm Andreae, Teil 2: Staat, Jena

1925 [

=

Die Herdflamme, Bd 6]).